Es hätte auch alles ganz anders kommen können. Als Keimzelle Bremens wäre statt des Altstadtbereichs ebenso gut eine Stelle etwa zehn Kilometer weiter südöstlich in Frage gekommen. Irgendwo im heutigen Mahndorf. „Hier war bis zum 8. Jahrhundert viel mehr los als in der jetzigen Altstadt“, sagt Landesarchäologin Uta Halle. Dafür hat sich nun ein weiterer Hinweis gefunden. In einer Baugrube unweit des Mahndorfer Bahnhofs sind die Archäologen auf Siedlungsspuren aus der Zeit kurz nach Christi Geburt und dem frühen Mittelalter gestoßen.
Von irgendwelchen Bauwerken hat sich zwar nichts erhalten. Aber dunkle Verfärbungen im Dünensand zeigen ziemlich präzise an, welche Ausmaße das jüngere Gebäude einmal hatte. Wie am Schnürchen aufgereiht sind die früheren Pfosten deutlich zu erkennen. Elf Meter lang und vier Meter breit dürfte das bäuerliche Wohnhaus gewesen sein, insgesamt also eine Grundfläche von knapp mehr als 40 Quadratmetern gehabt haben. Gleich nebenan sind Spuren eines Nebengebäudes ans Tageslicht gekommen. „Das könnte ein Stall gewesen sein“, sagt Halle.
Datierung nicht leicht
Eine exakte Datierung des Funds lässt sich in diesem frühen Stadium nur schwer vornehmen. Vom 5. bis 6. Jahrhundert spricht Halle, Grabungstechniker Jan Geidner würde eher auf das 8. oder 9. Jahrhundert tippen. In beiden Fällen wäre es jedenfalls nicht falsch, von einer frühmittelalterlichen Besiedlung zu sprechen. Genauere Ergebnisse könnte noch eine spätere Analyse mithilfe der Radiokarbon-Methode liefern. Als Zeitmesser taugen tierische Knochenreste und Holzkohle.
Weiter vorn haben die Archäologen in einer tieferen Schicht noch deutlich ältere Spuren ausgegraben. Nur wenige Meter von dem späteren Bauernhaus entfernt stand ein paar Hundert Jahre früher eine andere Wohnstatt. „Die stammt aus der Zeit um Christi Geburt, ist also 2000 Jahre alt“, sagt Geidner. Eine Uferkante im sandigen Boden weist darauf hin, dass die Bewohner nicht freiwillig gegangen sind. Für Geidner ist das die zentrale Erkenntnis. „In der Mahndorfer Marsch hat es Bereiche gegeben, die ab Christi Geburt aufgrund von Überschwemmungen nicht mehr besiedelbar waren. Die Menschen flohen in Bereiche, wo sie trockene Füßen hatten.“
Der Hauptarm der Weser floss auch damals in einiger Entfernung gen Nordsee. Doch es muss längs des Dünenrückens einen relativ stattlichen Nebenarm gegeben haben. „Der dürfte 30 bis 40 Meter breit und bis zu fünf Meter tief gewesen sein“, schätzt Halle. Damit hatte die Siedlungsstelle in Mahndorf einen Fernhandelsweg direkt vor der Haustür. „Das Haus könnte in Hafenlage gestanden haben“, sagt die 63-Jährige. Anders hätten die Überreste eines Getreidemahlstein aus Basaltlava kaum nach Mahndorf gelangen können. „Basaltlava gab es nur in der Eifel“, sagt Halle, mithin im römischen Machtbereich. „Ein bisschen Kontakt zu den Römern muss also vorhanden gewesen sein.“ Wegen seines schieren Gewichts und der Größe sei ein Transport des Basaltlavasteins nur mit dem Schiff möglich gewesen. „Das Gelände hier war moorig und morastig, da wäre man mit einem schwer beladenen Wagen nicht durchgekommen.“
Vom 2. bis zum 8. Jahrhundert herrschte relativ reges Leben in Mahndorf, darauf deuten zahlreiche Fundstellen hin. Nicht zuletzt das Gräberfeld, das in den späten 1930er-Jahren aufgespürt wurde. Von einer „nicht ganz kleinen Siedlung“ spricht die Landesarchäologin. Das Ende der Mahndorfer Blütezeit kam, als der Weserlauf um 800 versandete. „Da hatte das heutige Bremen dann bessere Chancen“, sagt Halle. Von einer Stammesbezeichnung hält die Archäologin nichts. „Wir wissen nicht, wie sich die Menschen selbst bezeichnet haben“, sagt sie. Von einer Titulierung als Germanen rät sie ab. Das sei ein römischer Sammelbegriff gewesen, der von Nazis und rechten Gruppen missbraucht werde.
Archäologen von Anfang an dabei
Völlig überraschend kam der Fund der Siedlungsspuren beim Mahndorfer Bahnhof nicht. Bereits vor einigen Jahren, als in direkter Nachbarschaft neue Reihenhäuser entstanden, hatten die Archäologen ähnliche Überreste entdeckt. „Allerdings waren die nicht so ergiebig“, sagt Halle. Bei den neuerlichen Bodenarbeiten waren die Experten von Anfang an dabei. Seit gut einer Woche arbeiten sie auf dem Areal, nun läuft ihnen die Zeit allmählich davon. „Noch diese Woche bleibt uns, vielleicht kommen noch ein paar Tage dazu.“
Nicht nur zeitlich, auch räumlich sind den Archäologen enge Grenzen gesetzt. Über die Baugrube hinaus dürfen sie nicht gehen. Nur halb zum Vorschein kommen so die rötlichen Schlackereste eines Ofens, der zur Eisenverarbeitung gedient hat. Auch die älteren Siedlungsspuren lassen sich wegen des eng gesteckten Rahmens nicht restlos freilegen.
Doch dafür werden die Archäologen reichlich Fundstücke für spätere Untersuchungen mitnehmen. „In dem Sediment ist alles voll mit Keramikscherben“, sagt Geidner. „Vielleicht können wir das eine oder andere Gefäß zusammenkleben.“ Laut Halle handelt es sich eher um unspezifische als gehobene Keramik. Womöglich lässt sich im Labor auch mit Pollenproben etwas anfangen. „Damit könnten wir Rückschlüsse über die Vegetation ziehen“, sagt der 42-Jährige. Mit dem Ende der Grabungen hört die Arbeit also nicht auf, sie fängt eigentlich erst so richtig an.