Überseestadt. Im Hafenmuseum Speicher XI wurde gerade eine neue Dauerausstellung eröffnet. Sie soll vor allem an diejenigen Menschen erinnern, die ab Mitte des 20. Jahrhunderts aus anderen Ländern nach Bremen kamen, hier Arbeit fanden, Wurzeln schlugen, Familien gründeten und ein Teil der Stadt wurden. In Texten, Tönen, Bildern und Objekten gibt die Ausstellung ihren Geschichten einen besonderen Raum. „Es gibt keinen internationaleren Ort als den Hafen“, erklärte Kuratorin Astrid Müller bei der feierlichen Eröffnung im Rahmen der „Langen Nacht der Museen“.
„Mit den Händen in Bremen, mit den Füßen im Bosporus“ lautet der Titel der neuen Abteilung im Hafenmuseum. An mehreren Hörstationen können sich die Museumsbesucher davon persönlich erzählen lassen. Es sind Geschichten wie die von Özdal Dincel, die 1938 in Anatolien geboren wurde, und sich als Schneiderin in Istanbul einen guten Namen gemacht hatte. Da wäre sie wohl auch geblieben, wenn nicht ihr Onkel im Jahr 1962 eine Fahrkarte nach Hamburg besorgt und den Kontakt zu einer Bekannten in Bremen vermittelt hätte, erzählt sie. Von der deutschen Sprache verstand die junge Frau zunächst kein Wort, und es gab damals keine Kurse, an denen sie hätte teilnehmen können. Ihr Deutschlehrer war der Fernsehapparat, der ihr nach Feierabend Gesellschaft leistete. „Was hätte ich denn sonst machen können?“, fragt sie. „Und Krimis mochte ich schon immer gerne!“ Eine Nähmaschine, auf Raten gekauft, wurde zum Schlüssel zu ihrer beruflichen Zukunft.
Spezialisten aus aller Welt gebraucht
Hafenmuseums-Historiker Steffen Wiegmann erinnerte daran, dass Bremen schon im 19. Jahrhundert Arbeitskräfte und Spezialisten aus aller Welt für seinen Hafen brauchte. Die neun Anwerbe-Abkommen, die Deutschland zwischen 1954 und 1968 zuerst mit Italien, später mit Spanien, Griechenland, 1961 mit der Türkei und zuletzt mit Jugoslawien abschloss, ermutigten Millionen von „Gastarbeitern“, den Weg in die Fremde zu wagen. Zehntausende kamen nach Bremen, viele davon blieben. Die Arbeitsmigranten dieser ersten Generation sind längst in Rente, Großeltern, mitunter Urgroßeltern. Ihren Erinnerungen und individuellen Biografien nachzuforschen: Darauf hätte man eigentlich schon längst kommen müssen.
Und das war man auch, wie Astrid Müller erklärte. Schon seit Anbeginn des Hafenmuseums vor 13 Jahren hatten die Ausstellungsmacherinnen das Thema im Blick, und wagten sich dennoch nicht heran, „weil uns die persönlichen Kontakte fehlten“, so die Kuratorin. Doch dann kam das Zentrum für Migranten und Interkulturelle Studien (Zis) ins Spiel, das seit 38 Jahren pädagogisch, wissenschaftlich und kulturell mit dem Thema Migration und Integration arbeitet. Die betagten Migranten seien eine Generation, die oft sehr zurückgezogen lebe und gesellschaftlich wenig wahrgenommen werde, obwohl sie eine der am stärksten wachsenden Bevölkerungsgruppen sei, wird auf den Internetseiten des Vereins mit Sitz an der Cuxhavener Straße 7 erklärt. Im Jahr 2005 baute das Zis eine Kontaktstelle für ältere Bremer Migranten auf. Mittlerweile unterhalte der Verein Anlaufstellen in fünf Stadtteilen, berichtete der Vereinsvorsitzende Ali Elis im Hafenmuseum.
Zwei Jahre lang arbeitete der Verein gemeinsam mit 25 Männern und 25 Frauen türkischer Herkunft an den Vorbereitungen für einen „Ort zum Erinnern, Lernen und Forschen“, so Elis. Die Gipsabdrücke der Hände dieser 50 Landsleute stehen symbolisch für Millionen, die sich in Deutschland „behauptet, gearbeitet, Steuern bezahlt und Kinder großgezogen haben“, erklärte der Sozialpädagoge. „Wir möchten, dass die Leistung dieser Menschen nicht vergessen wird.“ Die Ausstellung solle dazu ermutigen, dass in der Gesellschaft, aber auch in den Familien selbst, mehr darüber gesprochen werde. Sie soll in Zukunft noch ausgebaut werden, berichtete das Kuratoren-Team, und das Zis arbeitet parallel an einem virtuellen Erinnerungsort, kündigte Elis an. Doch der Vereinsvorsitzende machte keinen Hehl daraus, dass dies nur ein Anfang sein soll: „Wir möchten in Bremen ein eigenes Museum für Migrationsgeschichte aufbauen.“
Im Treppenhaus, das zur Ausstellung führt, bewegen sich die Besucher durch die Geschichte der Arbeitsmigration in den vergangenen 60 Jahren. Astrid Müller und Steffen Wiegmann haben dafür in informativen Texten und Fotos die wirtschaftlich-politischen Entwicklungen mit persönlichen Lebensstationen verknüpft. In den Vitrinen im Obergeschoss werden Objekte gezeigt, die viel über die Pläne, Hoffnungen, Sehnsüchte ihrer damals noch jungen Besitzer erzählen: So wie der kleine Lederkoffer, in dem Hayriye Tekek seit 50 Jahren Erinnerungen an ihre Heimat hütet, und die Lehrbücher, mit denen Mustafa Balci sich die englische Sprache beibrachte, weil er nach seiner Rückkehr in die Türkei ein Studium beginnen wollte. Zu sehen ist auch ein antikes Stück Stoff, das von einem reich bestickten Hochzeitskleid aus dem Jahr 1892 stammt. Es ist der persönliche Schatz von Özdal Dincel, die in Bremen blieb, eine Familie gründete, Freunde fand, sich auch hier einen guten Namen als Schneiderin und Boutiquebesitzerin machte, und längst von sich sagt „Ich bin Bremerin!“ Ihren Zuhörerinnen und Zuhörern gibt sie weise Worte auf den Weg: Das Leben sei nicht immer einfach. „Aber wenn du fleißig bist, schaffst du es überall.“