Die Pandemie führt dazu, dass die Regierung mit ihrem Handeln in den Vordergrund rückt, die Parteien haben in der Wahrnehmung das Nachsehen. Das hat der Politikprofessor Andreas Klee von der Universität Bremen registriert. Für die Parteien bedeutet dies unter anderem, dass die Mitgliederentwicklung der Vergangenheit im Jahr 2020 gebremst wurde, bei Abwanderungen wie bei Eintritten. Bei SPD und CDU sind die Mitgliederzahlen leicht gesunken, die FDP hält sich konstant, aufwärts geht es hingegen bei den Grünen und den Linken.
Bremens traditionell mitgliederstärkste Partei ist die SPD – sie stellt seit Gründung der Bundesrepublik ununterbrochen den Präsidenten des Senats und damit den Bürgermeister. Zum Jahresende 2020 hatten nach Parteiangaben 3900 Genossen und Genossinnen ein Parteibuch der Sozialdemokraten. 129 weniger als ein Jahr zuvor. Der Rückgang sei vor allem der Altersstruktur der Mitglieder geschuldet, sagt Landesgeschäftsführer Roland Pahl. „Wir haben einen größeren Anteil älterer Mitglieder.“ Die Zahl der Todesfälle kann die Partei nicht mit neuen Eintritten ausgleichen. Insgesamt liege die langfristige Bindung nicht im gesellschaftlichen Trend, findet Pahl. „Man engagiert sich häufiger für Projekte.“
Das bestätigt auch Andreas Klee: „Es ist nicht so, dass die Leute sich nicht für Politik interessieren. Aber sie haben kein Interesse daran, sich langfristig an eine Partei zu binden.“ Das sei ähnlich im Ehrenamt. „Die Menschen haben schon Interesse, etwas im Verein zu machen, wenn das eigene Kind dort Fußball spielt. Aber die goldene Vereinsnadel für 40 Jahre, die wird es immer seltener geben.“ Das Engagement sei häufig punktueller.
Ebenfalls einen leichten Mitgliederrückgang meldet die CDU. Die Christdemokraten hatten in Bremen Ende 2019 insgesamt 2094 Mitglieder, Ende November 2020 waren es 2060. Landesgeschäftsführer Heiko Strohmann begründet das ebenfalls mit dem hohen Alter vieler Mitglieder. Rund ein Drittel seien über 80 Jahre alt. Die Bremer CDU plane, stärker themen- und projektbezogen zu arbeiten. „Wir haben mehrere Projektgruppen gegründet. Das funktioniert sehr gut und die Leute sind hoch motiviert“, berichtet Strohmann. „Den Rückgang der Zahlen haben wir massiv abgebremst.“ Die Bremer Landesverband hatte seit 2005 rund 1400 Mitglieder verloren, wie aus Zahlen der Freien Universität Berlin hervorgeht.
Von der Pandemie angetrieben
Bei der FDP, sagt Landesvorsitzender Thore Schäck, bewegen sich die Zahlen seit Jahren stabil um 400 Mitglieder. „Uns freut, dass viele jüngere Leute dazu kommen. Das ist immer ein gutes Zeichen.“ Viele Neumitglieder würden angetrieben von der Pandemie und der wirtschaftlichen Entwicklung. Dass Arbeitsplätze gefährdet seien und es der Wirtschaft nicht gut gehe, habe viele zum Eintritt bewogen. Ende 2019 hatte die FDP demnach 395 Mitglieder, ein Jahr später 393.
Die Linke freute sich im vergangenen Jahr über einen Mitgliederzuwachs: 42 neue Mitglieder konnte die Partei nach ihren Angaben begrüßen. Mit 689 Mitgliedern ist sie viertgrößte Partei in Bremen. „Ich habe das Gefühl, dass vermehrt jüngere Menschen eingetreten sind. Es sind viele unter 30 dabei“, sagt Landesgeschäftsführer Andreas Hein-Foge. Die AfD teilte mit, „zum Schutz unserer Mitglieder“ keine absoluten Zahlen zu nennen.

Die Tausender-Marke geknackt haben im vergangenen Jahr die Bremer Grünen. Die Partei wuchs nach eigenen Angaben von 988 auf 1037 Mitglieder. Das Wachstum der vergangenen Jahre habe sich etwas abgeflacht, sagt Landesvorstandssprecherin Alexandra Werwath. „Wir können nicht sagen, ob es an Corona liegt.“ Hinsichtlich der Eintrittsmotivation der Neumitglieder nennt sie Kernthemen der Grünen: „Wir nehmen weiterhin wahr, dass die Frage nach einem lebenswerten Planeten im Mittelpunkt steht. Klimawandel, Zusammenhalt und die Verteidigung unsere Demokratie sind häufig genannte Gründe.“
Hoffnungen auf die Bundestagswahl
Auch bundesweit träten viele junge Menschen den Linken und Grünen bei, sagt Wissenschaftler Klee. Die Entwicklungen in der deutschen Politik seien – mit Ausnahme der Rolle der SPD – recht gut auf das Bremer Parteiensystem übertragbar. „Die Grünen profitieren immer noch von dem Trend Nachhaltigkeit und Klimawandel.“ Insgesamt sei es im vergangenen Jahr durch die Pandemie zu einer Wahrnehmungsverschiebung der Politik gekommen. „Das Regierungshandeln steht sehr stark im Vordergrund, also die Bundeskanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten. Normalerweise haben wir eine sehr starke Wahrnehmung von Politik über Parteien. Das ist momentan total ausgebremst.“ In der Summe führe das zu geringerer Relevanz der Parteien als Akteurinnen. „Sie werden nicht so wahrgenommen. Aber auch nicht abgestraft“, erläutert Klee.
Das könnte sich durch die anstehende Bundestagswahl im September ändern. Welche Dynamik aufkommt, wird nach Politikwissenschaftler Klee auch damit zusammenhängen, wie stark die Pandemie das politische Geschehen bis dahin bestimmt. Die relativ stabilen Umfragewerte deuteten darauf hin: Bei den Parteien und ihren Mitgliedern werde sich nicht viel verändern. Klee sagt: „Die Parteien sind gerade einfach nicht die großen Player.“
Einigkeit herrscht bei den Parteien hinsichtlich der Hoffnungen auf die Bundestagswahl. „Im Umfeld von Wahlen ist Mitgliederzuwachs angesagt. Das liegt an den verstärkten Aktivitäten der Partei“, sagt Hein-Foge von der Linken. „Politik ist dann greifbarer und präsenter“, meint auch der Liberale Schäck. „Polarisierende Wahlkämpfe sind wichtig“, findet CDU-Vertreter Strohmann.