Woltmershausen. Am Ende erklingt tatsächlich heiteres Gelächter – eine derart gelöste Stimmung hat noch eine gute Stunde zuvor kaum jemand der Anwesenden in der kleinen Gaststätte „Pusdorfer Leuchtturm“ für möglich gehalten. Vertreter der Baubehörde hatten die Anwohner des Schrieferswegs in Woltmershausen am Dienstagnachmittag zu einem Gespräch eingeladen. Um im Zuge der Neuplanungen im vorderen Woltmershausen mit den Frauen und Männern über deren Wünsche und Sorgen zu sprechen. Wie berichtet, soll im gesamten Bereich der Betriebsgelände der ehemaligen Tabakfabrik Martin Brinkmann sowie der Stadtwerke bis hin zur Senator-Apelt-Straße ein neues Wohn-und Arbeitsquartier entstehen, das momentan noch unter dem Arbeitstitel „Tabakquartier“ steht.
Doch neben neuen Entwicklungen und Ideen wollen die Planer auch berücksichtigen, was vor Ort schon vorhanden ist, erklärte Tina Hartz vom Hamburger Planungsbüro Elbberg, das von der Stadt mit einem Masterplan für das 55 Hektar große Gelände beauftragt worden ist. Und zu denjenigen, die schon lange da sind, zählen eben auch die Bewohner des Schrieferswegs.
Etwa 40 von ihnen sind gekommen und haben von Beginn an klar gemacht: Sie leben in einer engen und gut funktionierenden Nachbarschaft gerne dort. „Und wir wollen auch, dass das so bleibt“, bekräftigte ein Anwohner. Verschiedene Sorgen treiben die Eigentümer der kleinen Grundstücke entlang des gut ausgebauten, privaten Schotterweges um: Von der Angst vor Enteignung bis hin zu der Befürchtung, dass durch den Neubau von Straßen vor oder hinter ihren kleinen Grundstücken hohe Erschließungskosten auf die Anwohner zukommen könnten.
Außerdem befürchten sie Lärm von neuem Durchgangsverkehr. Denn dass die Straße „Am Gaswerkgraben“ hinter ihren Häusern bis zur Senator-Apelt-Straße verlängert werden soll, steht schon so gut wie fest.
Eine Vertreibung sei aber nicht das Ziel, versicherte Stadtplanerin Jutta Bettin von der Baubehörde. „Momentan sieht alles danach aus, dass wir dort versuchen werden, Wohnen zu ermöglichen.“ Aber das setze voraus, dass bestimmte gesetzliche Vorgaben erfüllt werden können, beispielsweise bezüglich Lärm, Gestank und Bodenbeschaffenheit. Schließlich ist die Bahnlinie Bremen-Oldenburg und die A 281 in der Nähe sowie das Pumpwerk und weitere Gewerbebetriebe, die Emissionen verursachen.
„Doch selbst wenn es damit Probleme gibt, müssen wir gemeinsam sehen, wie wir damit umgehen“, erläuterte Wolfgang Kumpfer aus der Umweltbehörde das weitere Vorgehen. Ob Lärmschutzfenster oder der Austausch von verschmutzter Erde – vieles sei denkbar. Doch noch sind nicht alle notwendigen Gutachten eingeholt, die Antwort auf viele Fragen mussten die Planer daher zunächst vertagen.
Dass eine Neuplanung notwendig ist, um ein Wohngebiet dort einzurichten, wo sie schon seit vielen Jahren lebt, war für Andrea Owald völlig neu. „Ich habe zum ersten Mal gehört, dass das alles hier Industriegebiet ist, für mich ist das heute schon ein idyllisches Wohngebiet“, sagte sie nach der Versammlung. Ihre Bedenken sah sie noch nicht vollständig ausgeräumt. Insbesondere der Erhalt der großen Wiese, die sich zwischen den Häusern und den großen Speichern der Firma Ariston befindet, liegt ihr am Herzen. „Aber trotzdem bin ich froh darüber, dass die Verwaltungsvertreter so zugänglich uns gegenüber gewesen sind.“
Schriefersweg seit den 1920er-Jahren
Historisch ist die kleine Siedlung größtenteils Ende der 1920er-Jahre entstanden. Damals teilte der Kaufmann Friedrich Carl Schriefer ein Stück Land in Woltmershausen an der Warturmer Heerstraße in kleine Grundstücke auf und verkaufte sie als „Gemüseanbauland mit Parzelle“ an Bremer Bürger wie den Werftarbeiter Emil Gerke, dessen gleichnamiger Enkelsohn das heute mit einer besiegelten Kaufurkunde von damals belegen kann. Das ehemalige SPD-Beiratsmitglied hat auch noch weitere Dokumente über seinen mittlerweile verkauften Familienbesitz am Schriefersweg aufbewahrt: so auch seinen Widerspruch gegen einen Räumungsbescheid aus dem Jahr 1978. Er ließ sich anwaltlich vertreten und berief sich unter anderem auf den Kaisen-Erlass, weil sein Vater nach dem Krieg das zerstörte Wohnhaus wieder aufbauen musste. Er trug den Sieg gegen die Stadt davon, die 1982 den Räumungsbescheid aufhob. 1985 erhielt er dann Post vom Katasteramt mit dem Hinweis, dass der Nachtrag „Wohnen“ zu seinem Grundstück aufgenommen worden sei.
Geschichten wie diese gibt es viele aus dem Weg zu erzählen. Die rechtliche Grauzone belastet die Anwohner immer wieder. Endlich nicht mehr im Schwebezustand, sondern Rechtssicherheit für Haus und Grundstück, das ist daher die Hoffnung von vielen, so auch für Andreas Kulbatzki. Denn ohne diese bekommen sie weiterhin keine baulichen Veränderungen an den Häusern genehmigt. Mit seinen Nachbarn war Kulbatzki sich nach dem Behördengespräch vor der Gaststätte einig: Das miteinander Reden hat sich gelohnt. „Wir fühlen uns ernst genommen mit unseren Sorgen und Wünschen“, sagte der Eigentümer, der ebenfalls ein kleines Häuschen am Schriefersweg besitzt. Doch trotz des positiven Auftakts bleiben die Nachbarn skeptisch, ob die Ergebnisse dieses und der weiteren Gespräche sich auch tatsächlich am Ende in den fertigen Plänen wiederfinden. Eine Anwohnerin stellte daher fest: „Für mich ist die Sache erst vom Tisch, wenn im Plan steht, dass wir da wohnen dürfen.“
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