Kritik an Italien und Panama "Aquarius"-Crew: "Ohne Flagge können wir nicht retten"

Nach dem Flaggenentzug darf das Rettungsschiff "Aquarius" der Bremer Reederei Jasmund Shipping nicht mehr auslaufen. Der deutsche Eigner kritisiert Italien und Panama für das Vorgehen.
08.10.2018, 15:47 Uhr
Lesedauer: 3 Min
Zur Merkliste
Von Niklas Golitschek

Die "Aquarius" liegt wieder im Hafen von Marseille. Zum zweiten Mal droht dem Schiff der Seenotrettungsorganisation SOS Mediterranee der Entzug der Flagge. Bereits im August hatte Gibraltar das Schiff aus seinem Register gestrichen. Nun sieht sich die Organisation dem gleichen Verfahren auch im neuen Flaggenstaat Panama ausgesetzt. „Das bedeutet die komplette Handlungsunfähigkeit. Ohne Flagge können wir nicht retten“, sagte Sprecherin Jana Ciernioch am Montag bei einer Pressekonferenz in der Bremer Bürgerschaft.

Für SOS Mediterranee sei die Hansestadt noch immer ein besonderer Ort. Im Februar 2016 brach die "Aquarius" von hier aus mit Unterstützung aus Politik und Gesellschaft zu ihrer ersten Seenotrettungs-Mission auf. „Seitdem haben wir fast 30 000 Menschen vor dem Ertrinken gerettet“, sagte Ciernioch. Oft seien die Rettungsteams in letzter Sekunde zur Stelle gewesen, manchmal auch zu spät. Mittlerweile habe sich die Situation dramatisch verändert: „Der humanitäre Raum, in dem wir agieren können, wird immer kleiner.“ Im September sei jeder siebte Mensch bei der Überfahrt ertrunken.

"Die Entscheidung ist laut Panama definitiv"

Bis ein neuer Flaggenstaat gefunden ist, muss die Organisation ihren Einsatz pausieren. Warum das so ist, erklärte Reeder Christoph Hempel, bei dessen Bremer Reederei SOS Mediterranee die "Aquarius" gechartert hat: „Ohne Flagge erlischt die Versicherung.“ Dass Panama das Rettungsschiff nun aus dem Register nehmen will, führt er auf politischen Druck der italienischen Regierung zurück. Die habe gedroht, dass Schiffe mit Panama als Flaggenstaat keine europäischen Häfen mehr anfahren dürften.

„Das wäre ein großer wirtschaftlicher Schaden“, sagte der Reeder. Ein Gesetz erlaube es Panama, ein Schiff auszuflaggen, wenn der Regierung oder anderen Schiffen unter der Flagge des Landes Schaden drohe. Mit dieser Begründung sei ihm die Registerlöschung angekündigt worden. „Die Entscheidung ist laut Panama definitiv“, sagte Hempel.

Lesen Sie auch

Da die Aquarius nun im Hafen von Marseille liege, sei die Entscheidung vorerst ausgesetzt, damit der Reeder einen neuen Flaggenstaat finden kann. Gespräche dafür laufen laut Hempel unter anderem mit der Schweiz, Luxemburg und Venezuela. „Ich hoffe, dass wir noch eine Woche haben“, sagte er. Bereits die Ausflaggung durch Gibraltar sei ungewöhnlich gewesen.

„In den letzten 20 Jahren ist das nur vier Mal passiert“, sagte Hempel. Und das bei mehr als 300 Schiffen unter der Flagge Gibraltars. Experten bezeichneten ihm zufolge die Registerlöschung aus politischen Gründen als beispiellos. In den anderen Fällen seien Gebühren nicht bezahlt worden, das Schiff in einem schlechten Zustand gewesen und zweimal die Besatzung schlecht behandelt worden.

Die anstehende Ausflaggung der "Aquarius" durch Panama kritisierte auch Fabian Taute von Seebrücke Bremen. Menschen in Seenot zu retten, dürfe nicht von deren Herkunft oder deren Beweggründen abhängen: „Immer wieder wurden fadenscheinige Begründungen herangezogen, um die Arbeiten der zivilen Seenotretterinnen und Seenotretter zu kriminalisieren und die private Seenotrettung zu verhindern.“ Diese Politik habe tödliche Konsequenzen. Aus diesem Grund müsse die "Aquarius" umgehend mit einer neuen Flagge ausgestattet werden.

Mehrere Rechtsverstöße durch lybische Behörden

Doch selbst wenn die "Aquarius" wieder in See stechen sollte, sieht sich die Schiffsbesatzung von SOS Mediterranee erschwerten Bedingungen ausgesetzt. Im Sommer hat die neu eingerichtete libysche Seenotleitstelle die Koordination der Rettungseinsätze im zentralen Mittelmeer von Italien übernommen. Die libyschen Behörden seien jedoch inkompetent, ihre Organisation habe mehrere Rechtsverstöße dokumentiert, sagte Sprecherin Jana Ciernioch.

Angesichts der unklaren Lage im zentralen Mittelmeer seien die Reeder nervös. „Sie sind verantwortlich, gerettete Menschen an Land zu bringen. Das kann bis zu fünf Tage Verzögerung bedeuten. Deswegen nehmen sie bewusst einen Umweg in Kauf und machen einen großen Bogen um Libyen“, ergänzte er Reeder Hempel.

Eine Multimedia-Reportage über das Leben auf der "Aquarius" finden Sie hier.

Jetzt sichern: Wir schenken Ihnen 1 Monat WK+! Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Einwilligung und Werberichtlinie

Ich erkläre mich damit einverstanden, dass die von mir angegebenen Daten dazu genutzt werden, regelmäßig per E-Mail redaktionelle Inhalte des WESER-KURIER seitens der Chefredaktion zu erhalten. Die Daten werden nicht an Dritte weitergegeben. Ich kann diese Einwilligung jederzeit formlos mit Wirkung für die Zukunft widerrufen, z.B. per E-Mail an widerruf@weser-kurier.de.
Weitere Informationen nach Art. 13 finden Sie unter https://www.weser-kurier.de/datenschutz

Schließen

Das Beste mit WK+