Bremen. Mittwochabend hat die ARD den Film "Neue Vahr Süd" nach dem Roman von Sven Regener gezeigt. Sein Protagonist Frank Lehmann wohnt in einer chaotischen, linken WG am Sielwall und zieht mit seinen Freunden regelmäßig durch das nächtliche Viertel. Wie es sich dort Anfang der 80er Jahre lebte, erklärt Kathrin Klug bei ihrer literarischen Stadtführung.
Das ehemalige Storyvilleam Körnerwall, das Bremer Eck und natürlich die Wohngemeinschaft über dem Cinema – das sind nur einige Orte, die Kathrin Klug bei ihrer zweistündigen Touransteuert. Immer im Gepäck: der dicke, grüne Roman "Neue VahrSüd" von Sven Regener, aus dem sie an den Stationen die passenden Passagen vorliest.
Politische und sozialgeschichtliche Hintergründe
Die szenische Lesung ist aber nur ein Teil der literarischen Führung durch den Kosmos von Frank Lehmann, die sich – grob gesagt – zwischen dem Theater am Goetheplatz und dem Ziegenmarkt erstreckt. Die studierte Germanistin erzählt auch einiges über die politischen und sozialgeschichtlichen Hintergründe der 80er Jahre. "Nur so kann man verstehen, wie dieses Leben im Viertel überhaupt entstehen konnte", meint die Stadtführerin.
Literarische Führungen mit verschiedenen Schwerpunkten macht Kathrin Klug für den Veranstalter StattReisenschon seit einiger Zeit. Die Idee, aus dem 2004 erschienen Roman einen Rundgang zu konzipieren zu machen, kam allerdings erst vor zwei Jahren auf. "Ein Teilnehmer sagte bei einer Viertel-Führung: Mensch, da kommt auch ganz viel von dem vor, was Sven Regenerin seinem Buch erzählt", erinnert sich Kathrin Klug. Und als dann auch noch ein anderer Roman des Bremer Autors Thema in der Oberstufe geworden sei, habe sie schließlich "in einer Nacht- und Nebel-Aktion" die erste Neue VahrSüd-Tour entwickelt, die sich ursprünglich nur an Schüler richtete.
"Die 80er Jahre sind für die Jugendlichen schon relativ weit weg"
Auch deshalb liefert Kathrin Klug viel Hintergrundwissen über diese Zeit. Zum Beispiel, was es mit der Mozarttrasse und der antiautoritären Erziehung auf sich hat. Oder warum man überhaupt Häuser besetzt. "Die 80er Jahre sind für die Jugendlichen schon relativ weit weg", sagt sie. "Vieles, was für mich selbstverständlich ist – auch dieses WG-Leben –, erscheint ihnen eher absurd."
Seit 18 Jahren wohnt Kathrin Klug im Viertel. Den ersten Kontakt gab es allerdings schon viel früher: Ihre älteren Geschwister haben am Sielwall gewohnt. Daher sind ihr auch einige Verhaltensmuster aus dem Roman aus eigener Erfahrung vertraut. "Die Männer-WGshatten damals einen großen Chaos-Faktor. Aber man konnte sich dort auch herrlich entspannen", meint sie. Das Duschen oder Auf-Toilette-Gehenhat sie sich dort allerdings lieber verkniffen. "Man hat sich an bestimmten Sauberkeits- und Ordnungsprinzipien nicht so gehalten", meint sie vielsagend.
Und wie sah das Viertel zu Frank Lehmanns Zeiten aus? "Die bürgerliche Bevölkerung hat das Viertel gemieden", erzählt Kathrin Klug. "Die Häuser waren damals größtenteils besetzt und man hatte richtig Angst, hierher zu kommen."
"Wir bedienen auch Junkies"
Gleichzeitig sei das Viertel ein "sehr freier, liberaler und kreativer" Ort gewesen. Das habe sich auch in der Drogenpolitik niedergeschlagen. "Hier herrschte noch der große Glaube an die Eigenverantwortung", erklärt die Stadtführerin. Selbst in den Kneipe soll es Schilder mit der Aufschrift: "Wir bedienen auch Junkies" gegeben haben.
Warum sie auf ihrer Tour nur die Schauplätze im Viertel zeigt, hat mehrere Gründe: „Die Neue VahrSüd ist ein ganzes Stück weg, die Szenen dort spielen vor allem drinnen und sind auch nicht so spektakulär wie im Viertel“, meint Kathrin Klug.
Die nächsten Führungen sind für den 29. März 2011 und den 4. Oktober ab 18 Uhr geplant. Treffpunkt ist das Theater am Goetheplatz. Darüber hinaus können Führungen für Gruppen und Schulklassen unter Telefon 430 56 56gebucht werden. Weitere Informationen gibt es unter www.stattreisen-bremen.de.