Familie G. aus Bremen-Nord hat vier Kinder, zwei davon leiden an Autismus. Seit einiger Zeit hat sich ihre finanzielle Situation zugespitzt: Nicht nur, dass die Behörde die Therapiekosten für den volljährigen Sohn nicht mehr übernimmt, für seinen jüngeren Bruder müssen die G.s nun noch über 800 Euro im Monat bezahlen.
Bremen-Nord. Nicht jeder Autist lebt in einer Welt des Schweigens. Die Ausprägungen der Krankheit sind vielfältig – das kann Rosa G. (alle Namen geändert) aus Bremen-Nord nur bestätigen. Von ihren vier Kindern leiden zwei an dem sogenannten Aspergersyndrom, das heute Autismus-Spektrumsstörung genannt wird. Der ältere der beiden, Steffen, ist 21 Jahre alt, sein Bruder Alexander zwölf. Für die Familie ist die Situation ein immerwährender Kraftakt. Auch, was die finanzielle Situation betrifft.
Bislang kümmert sich das Autismus-Therapiezentrum in Bremen-Nord um die Brüder. Einmal pro Woche, und das jeweils drei Stunden lang, arbeitet eine Psychologin mit ihnen. Seitdem Steffen 18 Jahre alt ist, hat das Amt für Soziale Dienste die Übernahme der Kosten für die Therapie eingestellt. Denn mit Erreichen der Volljährigkeit, argumentiert die Behörde, ist die Krankenkasse am Zug. Doch die zahlt nicht. Der Grund: Autismus ist nicht heilbar – und damit auch nicht Bestandteil des Leistungskataloges. Außerdem besitzt das Autismus-Zentrum keine kassenärztliche Zulassung. Deshalb kann Steffen derzeit keine therapeutischen Hilfen in Anspruch nehmen. Oder er müsste sie selbst bezahlen. Und nun noch das: Für die Therapie von Alexander zahlen die Eltern seit Neuestem monatlich 805 Euro und damit ungefähr die Hälfte der Kosten. Das liegt daran, dass der ältere Sohn eine Ausbildung zum Bürokaufmann begonnen hat und sich deshalb die Berechnungsgrundlage für die Familie verändert hat. Laut Behörde ein normales Prozedere: "Die Höhe ist per Verordnung festgesetzt", sagt Manfred Philipp vom Amt für Soziale Dienste.
Bis 2011 gab es Kostenübernahmen
Bis gegen Ende 2011 hat die Bremer Behörde noch die Kosten auch für erwachsene Autisten übernommen. Das sagt der Psychologe Volker Helbig-Hamelmann aus Schönebeck, der seit über drei Jahrzehnten mit Autisten arbeitet. So trennscharf, wie das Amt für Soziale Dienste etwa bei Familie G. die Zuständigkeiten für die Kostenübernahme ziehen will, hat es angeblich mit der Realität nicht viel zu tun: "Es gibt genügend Beispiele, dass das Amt für Soziale Dienste nach wie vor die Kosten trägt", sagt Helbig-Hamelmann. Er findet, dass die Autismus-Hilfe schlicht Opfer der Bremer Sparpolitik geworden ist.
Ihre finanzielle Situation stellt die G.s, die seit zehn Jahren auf Urlaub verzichten und auch sonst keine großen Sprünge machen können, immer wieder vor Probleme. Dabei sind die Eltern beide berufstätig, der Vater in Voll-, die Mutter in Teilzeit. Zunächst hat der Verein Autismus Bremen diese Kosten übernommen. Das aber könne, so Rosa G., keine Lösung auf Dauer sein. Mittlerweile hat sie Klage beim Sozialgericht eingereicht. Gleichzeitig hat die Familie Widerspruch im Fall ihres älteren Sohnes eingelegt. Damit will sie erreichen, dass er vom Nordbremer Autismus-Zentrum weiterhin gefördert werden kann und die Kosten dafür auch übernommen werden.
Der Verein Autismus Bremen, der auch in Schönebeck angesiedelt ist, engagiert sich seit vier Jahrzehnten für Erkrankte und Familien, die sich auf einem schmalen Grad zwischen Erschöpfung, Verzweiflung und Freude über kleine Fortschritte bewegen. Insgesamt verteilen sich auf die fünf Autismus-Zenten in Bremen derzeit 216 Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
Autistische Störungen, schreibt die Fachpresse, sind gekennzeichnet von tief greifenden Beeinträchtigungen der gesamten Entwicklung, die bereits im Kindesalter beginnen und in deren Zentrum eine Beziehungs- und Kommunikationsstörung steht.
Entwicklung zum Störenfried
Diese Symptome hat Rosa G. auch bei ihren beiden Söhnen erlebt. Die Diagnose Autismus-Spektrumsstörung erhielt die Familie bei Steffen, als er zwölf Jahre alt war. Vorher galt das Kind als lebhaft, motorisch unruhig und verhaltensauffällig.
Das setzte sich später auch in der Schule fort – der Junge entwickelte sich zu einem Störenfried, der manchmal sogar nach der zweiten Stunde von den Lehrern nach Hause geschickt wurde. Jahrelang eckte Steffen in der Schule an – eine Zeit, über die Rosa G. noch heute nur unter Tränen sprechen kann. Auch der Kinderarzt kam nicht darauf, dass Steffen, mittlerweile Realschüler, unter einer Form von Autismus leidet.
Erst ein Aufenthalt in der Psychiatrie brachte die Krankheit ans Tageslicht. " Das Problem ist auch", sagt Rosa G., "dass es zu wenig Fachleute gibt, die eine Autismus-Spektrumsstörung erkennen können." Anders als in der Schule fiel in der Klinik auch die Intelligenz des Jungen auf. Zwei Jahre lang musste Steffen auf einen Therapieplatz warten, bis er im Theresienhaus in Bremen-Nord unterkam. "Die Therapie hat sich bewährt, Steffen hat davon sehr profitiert", so seine Mutter.