Grob verkehrswidrig, rücksichtslos, äußerst kaltschnäuzig – es fehlte nicht an deutlichen Worten des Vorsitzenden Richters, bei der Urteilsbegründung im März 2017 gegen einen 28-jährige Bremer, der zu schnell und bei Rot über eine belebte Kreuzung gefahren war, dabei einen 13-jährigen Radfahrer angefahren und lebensgefährlich verletzt hatte und dann Fahrerflucht beging. Der Mann wurde nicht wie angeklagt wegen versuchten Totschlags verurteilt, sondern „nur“ wegen fahrlässiger Körperverletzung, Fahrerflucht und Gefährdung des Straßenverkehrs. Allerdings trotzdem zu einer Gefängnisstrafe – zwei Jahre und zehn Monate lautete das Urteil. In Haft war er seither nicht. Und er wird es auch nicht mehr müssen. Am Donnerstag stand er wegen dieser Tat erneut vor dem Landgericht. Ein Jahr und elf Monate lautete diesmal das Urteil. Ausgesetzt auf Bewährung.
Der Fall hatte seinerzeit für erhebliches Aufsehen gesorgt. Da war zum einen die Anklage, der Versuch der Staatsanwaltschaft, einen Verkehrsunfall als versuchten Totschlag zu ahnden. Dann war der von der Polizei vereitelte Versuch, dass Unfallfahrzeug nach der Tat verschwinden zu lassen. Und auch von Zeugeneinschüchterung war in diesem Prozess die Rede. Vor allem aber war da die Tat selbst.
Der Angeklagte war im Juni 2016 mittags an der Kreuzung Julius-Brecht-Allee/Konrad-Adenauer-Allee an einer roten Ampel auf der freien Linksabbiegerspur an den wartenden Fahrzeugen vorbei geradeaus über die Straße gefahren. Dabei hatte er einen von rechts kommenden 13-jährigen Schüler auf seinem Fahrrad erfasst und meterweit über die Kreuzung geschleudert. Der Fahrer bremste, stieg kurz aus seinem Wagen, brauste dann aber davon, ohne sich weiter um den Jungen zu kümmern, der mit schweren Kopfverletzungen auf der Kreuzung lag.
Radfahrer lebensgefährlich verletzt
Das Gericht würdigte all dies mit den eingangs zitierten Worten. Sah jedoch den angeklagten Tötungsvorsatz nicht als gegeben an und verurteilte den am Ende geständigen Täter wegen fahrlässiger Körperverletzung. Doch der Bundesgerichtshof (BGH) hob dieses Urteil auf und verwies den Fall an eine andere Kammer des Landgerichts zurück. Nicht wegen der Beurteilung der Tat. Auch der BGH sprach von einem „ganz erheblichen Maß an Pflichtwidrigkeit“ und von „eklatanter Rücksichtslosigkeit“. Doch die Bundesrichter störten sich am verhängten Strafmaß. Allein dies musste deshalb vom Landgericht noch einmal überprüft werden.
Wie dies zu geschehen hatte, erläuterte der Vorsitzende Richter am Donnerstag ausführlich in seiner Begründung des neuen Urteils. Zu sanktionieren seien zwei Taten. Zum einen die Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Zum anderen die Unfallflucht. Für beide sehe das Gesetz eine Höchststrafe von drei Jahren vor. Selbst wenn das Opfer bis heute im Wachkoma läge und der Täter bereits zehnmal vorbestraft gewesen wäre. Tatsächlich aber gehe es dem Jungen wieder relativ gut und sei der Angeklagte nicht vorbestraft. Weder im zentralen Strafregister noch in der Flensburger Verkehrssünderdatei habe es Einträge gegeben.
Die im März 2017 verhängten zwei Jahre und zehn Monate hätten sich trotzdem am obersten Rand des möglichen Strafrahmens bewegt. Dies hielt die Kammer am Donnerstag für nicht tat- und schuldangemessen. Zumal der Angeklagte letztlich geständig gewesen sei. Dies müsse ebenso zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, wie seine neun Monate in Untersuchungshaft, die sicher „kein Zuckerschlecken gewesen sind“.
Er wisse um die öffentliche Meinung zu diesem Fall, betonte der Vorsitzende Richter am Ende seiner Urteilsbegründung. „Doch die darf nicht unser Maßstab sein, sondern nur das Gesetz.“