Überseestadt. Mit den Abrissarbeiten am Schuppen 3 hat am vergangenen Donnerstag ein neues Großprojekt der Überseestadt begonnen. Das 22 000 Quadratmeter-Areal soll nach den Vorstellungen der Projektverantwortlichen zum „Europaquartier“ werden, mit Straßen und einem zentralen Platz, die an Europapolitiker des 20. Jahrhunderts erinnern. Bis zum Jahr 2021 sollen auf dem Baufeld am Ufer des Europahafens insgesamt 520 Wohnungen, Gewerbe, Gastronomie, Raum für Kreative sowie eine Tagesstätte für 100 Kinder entstehen. Von dem alten Hafenschuppen wird dann nur noch ein Bruchteil übrig sein. Dafür werden schätzungsweise 1000 Menschen mit Blick auf den Hafen wohnen und irgendwann vielleicht sogar mal eben schnell auf die andere Weserseite laufen können, wie im Ausschuss Überseestadt des Waller Beirats zu hören war.
Das Wichtigste über das 175-Millionen-Euro-Projekt hatten Investor Ingo Damaschke und Jens Lütjen, geschäftsführender Gesellschafter des Immobilienunternehmens Robert C. Spies, bereits im Beisein von Senatsbaudirektorin Iris Reuther vor Ort am Vormittag erzählt – der WESER KURIER berichtete. Am selben Abend folgte eine ausführliche Projektbeschreibung im Ortsamt West. Die Zusammenfassung: Erhalten bleiben nur die innenstadtseitigen ersten rund 115 Meter des Hafenschuppens. Die alte Bausubstanz wird saniert und nach Plänen des renommierten Hamburger Architekturbüros Strömer, Murphy und Partner in einen Neubaukomplex integriert. Die entstehenden rund 10 000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche sind für Gewerbe vorgesehen, ein Zehntel davon wird zu moderaten Mietpreisen für Ateliers reserviert. Außerdem wird eine Kindertagesstätte eröffnet, an der ein bundesweit tätiger Träger bereits ernsthaftes Interesse angemeldet habe, so Damaschke. Die vorgeschriebene Außenfläche – zehn Quadratmeter pro Kind – soll auf dem Dach des Gebäudes geschaffen werden. Dies sei in anderen Großstädten bereits „gang und gäbe“, weiß der geschäftsführende Gesellschafter der Asset Firmengruppe – Beispiel Hamburger Hafencity.
Individuelle skulpturale Fassaden
Im ersten Quartal 2019 sollen die Arbeiten für die Wohnhäuser in zweiter Reihe entlang der Konsul-Smidt-Straße beginnen. Die 160 geförderten Wohnungen, die alle von ihren Loggien und Balkonen den Blick aufs Wasser ermöglichen sollen, werden schlüsselfertig von der Gewoba übernommen. Richtung Westen schließt sich als Hochpunkt ein 13-stöckiges Wohnhaus mit 110 Wohneinheiten an. Entlang der Wasserseite sollen schließlich acht Häuser mit jeweils individuellen skulpturalen Fassaden und weiteren insgesamt 250 frei finanzierten Wohnungen entstehen, die als Eigentumswohnungen vermarktet werden können. Für das Hochhaus und die acht Häuser am Wasser sollen bis Dezember dieses Jahres die noch ausstehenden beiden Architekturwettbewerbe durchgeführt werden. In den Tiefgaragen des Komplexes wird es Platz für 600 Stellplätze geben. 100 öffentliche Parkplätze werden außerdem entlang der Konsul-Smidt-Straße sowie auf den neuen Straßen des Quartiers vorgehalten.
Das Areal wird von außen durch eine Straße auf Höhe des Knotenpunkts Überseetor erschlossen, die in einen gestalteten Platz mündet – zurzeit der unansehnliche Parkplatz zwischen Schuppen 1 und 3. Das „Europaquartier“ erhielt seinen Namen nicht allein aus naheliegenden Gründen, erklärte Lütjen. Er solle auch für europäische Werte wie Offenheit und Toleranz stehen. Für die Straßenbenennung schlagen die Projektentwickler die Namen von vier historischen „Vätern“ und einer „Mutter“ der europäischen Integration vor. Der zentrale Platz soll nach Robert Schumann (1886-1963) benannt werden, dem französischen Politiker mit deutschen Wurzeln und späteren Präsidenten des Europäischen Parlaments. Die drei Parallelstraßen zwischen den Häusern an der Wasserkante sollen an Jean Monnet (1888-1979), Altiero Spinelli (1907-1986) und Simone Veil (1927-2017) erinnern, die sich ebenfalls um die europäische Integration verdient gemacht hatten. Die Straße, die parallel zur Konsul-Smidt-Straße vor den Riegelbauten entlang führt, soll Hanns-Dietrich Genscher-Straße heißen: Die Witwe des deutschen Staatsmanns, der im Jahr 2016 starb, begrüße die Idee, berichtete Lütjen.
Die Ausschussmitglieder begrüßten die Namensvorschläge, erbaten sich allerdings noch die Zeit, in ihren Fraktionen darüber zu beraten. Ansonsten gefiel ihnen, was sie bis jetzt sahen: Den architektonisch anspruchsvollen Entwurf des Frankfurter Architekten Stefan Forster für die künftigen Gewoba-Häuser lobte Ausschusssprecher Wolfgang Golinski (SPD) als „ansehnlich“ und „gelungen“: Er zeige im Unterschied zu anderen Überseestadt-Neubauten, dass moderner sozialer Wohnungsbau nicht wie Architektur der 1950er-Jahre aussehen müsse. Cecilie Eckler-von Gleich (Grüne) war angetan von dem Plan, auf Höhe der Straße Überseetor eine Fußgängerquerung mit Lichtsignalanlage zu schaffen, die die Geschwindigkeit auf der „Piste“ effektiv entschleunigen werde. Und mit Überraschung vernahmen die Stadtteilpolitiker die Ankündigung eines „Brückenschlags“: Tatsächlich sei langfristig eine Weserbrücke auf Höhe des Platzes zwischen Schuppen 1 und 3 „angedacht“, bestätigte Rainer Gotzen aus dem Bauressort. Karsten Seidel (Grüne) wünschte sich ein nachhaltiges Energiekonzept. Die beiden anwesenden Beamten des Waller Reviers – Überseestadt-Kop Wilhelm Mohrlüder und Verkehrssachbearbeiter Siegfried Surma – plädierten anstelle der vorgesehenen Ampelanlage für einen Kreisverkehr am Knotenpunkt Überseetor. Linken-Politiker Jörg Tapking wies auf den hohen Bedarf an einer Grundschule und mittelfristig auch einer weiterführenden Schule in der Überseestadt hin.
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