
Denkt man an Städte wie Hamburg oder Berlin, hat Bremen auf den ersten Blick vergleichsweise wenig zu bieten, was das Thema Film angeht. Ist das wirklich so oder ist das ein Irrglaube?
Ilona Rieke: Ein bisschen von beidem. Bremen hat nicht die Strukturen, die andere Filmstädte haben, sprich, keine Filmhochschule. Wir haben zwar einen Sender, aber einen kleinen. Dennoch gibt es in Bremen eine sehr aktive Szene, die man nur nicht sofort wahrnimmt. Zum Teil liegt es daran, dass die Filmschaffenden sehr mobil sind. Viele haben zwar ihren Wohnsitz in Bremen, arbeiten aber auch in großen Produktionen bundesweit. Dass die Stadt nicht unbedingt immer als Filmstadt wahrgenommen wird, liegt auch daran, dass viele Bremer Produktionen, weil sie kleiner budgetiert sind, nicht unbedingt ihren Weg zum Publikum über das Kino finden, sondern vielleicht eher über Onlinewege oder Festivals.
Das Filmfest spricht ja auch dafür, dass Bremen nicht wenig zu bieten hat: Erst ein Tag, dann zwei Tage, 2017 drei Tage und in diesem Jahr ist das Filmfest mit vier Tagen noch einen Tag länger als im vergangenen Jahr.
Genau. Und natürlich sind auch die Bremer Produktionen ein Schwerpunkt des Festivals. Dass wir es weiter ausdehnen liegt aber auch daran, dass wir das Programm in diesem Jahr noch weiter öffnen.
Bisher hatten alle Filme, die auf dem Filmfest gezeigt wurden, immer in irgendeiner Form einen Bezug zu Bremen. Das ist also dieses Mal anders?
Ja. Wir haben erstmals auch einen internationalen Wettbewerb und verschiedene Sektionen, um das Fest für das Publikum noch interessanter zu machen und das Netzwerk der Filmschaffenden zu erweitern, quasi Bremer in die Welt zu bringen, aber auch die Welt nach Bremen. Wir haben versucht, Über-Themen zu finden, die zentral für Bremen sind: „Innovation“ und „Humor“. Als weitere Besonderheit haben wir in diesem Jahr an einem Abend noch die „Sternstunden“, mit Filmen, die sich mit fremden Welten und Forschung auseinandersetzen. Also auch passend zum Raumfahrtjahr und Bremen als Raumfahrtstandort.
Vernetzen und Bremens Filmszene in der Welt sichtbar machen – sind das die Ziele, mit denen das Filmfest 2015 ins Leben gerufen wurde?
Das besondere am Filmfest Bremen ist, dass es von Filmschaffenden gegründet wurde, die selber Film machen, denen das am Herzen liegt und deren Bestreben es ist, dass man zum einen die lebendige Filmkultur in Bremen sichtbar macht und eine Plattform dafür schafft. Zum anderen ist natürlich auch immer der Wunsch da, dass man durch ein derartiges Festival mit Leuten aus anderen Ländern in den Dialog treten kann. Bremen hat als Hansestadt ja schon immer gehandelt. Warum also nicht auch mit Ideen? Da sind wir gut drin und die kosten erst einmal auch nichts. Im besten Fall entstehen Koproduktionen und Ansatzpunkte des Austausches. Das war von Anfang an ein Ziel des Filmfestes.
Als Programmleiterin haben Sie die Inhalte des diesjährigen Filmfestes mitbestimmt. Wonach wählen Sie diese aus?
Wie gesagt gibt es in diesem Jahr Schwerpunkte. „Innovation“ zum Beispiel kann aber sehr viel bedeuten – neue Technik, neue Erzählweise, es kann auch sehr künstlerisch gedacht sein, zum Beispiel, wie findet man eine neue Bildsprache für ein Thema. Wir versuchen quasi, die ganze Filmkreativität zu bündeln und sichtbar zu machen. Den zweiten Schwerpunkt, „Humor und Satire“, haben wir gewählt, weil immer alle denken, in Norddeutschland lacht niemand, was natürlich nicht stimmt. Sehr viele bekannte Humoristen haben bei Radio-Bremen ihre Karriere gestartet. Die Idee ist, an diese Tradition anzuknüpfen, daher gibt es als Preis in dieser Kategorie auch „Den goldenen Mops“ als Anspielung auf Loriot.
Damit sprechen Sie eine Neuerung des Filmfestes an. Bisher gab es abgesehen vom 48-Stunden-Kurzfilm-Wettbewerb „Klappe“ keine Preise beim Filmfest.
Genau, das ist neu. „Klappe“ gibt es natürlich auch wieder, die Leute hatten 48 Stunden Zeit, Filme zum Motto „Der Mann im Mond“ zu produzieren. Jeder durfte mitmachen und alles, was fertig wurde, wird auch gezeigt. Die Filme mussten aber extra für das Festival produziert werden und in irgendeiner Form mit Bremen zu tun haben. Zusätzlich gibt es Preise für den besten Film aus den Bereichen „Innovation“ und „Humor und Satire“. Auch neu ist der „Bremer Preis“, bei dem lokale Produktionen genauer in den Fokus genommen werden. Hier darf das Publikum per Stimmzettel über den Preisträger abstimmen. Für die anderen Preise gibt es Fachjurys.
Woher kommen die gezeigten Filme?
Wir hatten über 4000 Einreichungen, die sich für das Filmfest beworben haben. Etwa 100 Filme haben es ins Programm geschafft, Kurzfilme inklusive. Es werden Filmschaffende aus elf Ländern anreisen und über 20 Länder sind im Wettbewerb vertreten. Darunter ein Dokumentarfilm aus dem Iran, eine Webproduktion aus den USA, Spielfilme aus Irland und Kanada. Uns war es wichtig, zu zeigen, wie unterschiedlich Themen in verschiedenen Ländern behandelt werden, worüber darf man eigentlich lachen und wie kann man vielleicht auch ernste Themen mal anders erzählen.
Vergangenes Jahr war auf dem Filmfest unter anderem die 460-minütige Dokumentation „Wer war Hitler“ zu sehen – gehört es zur Ausrichtung des Filmfests auch einmal ungewöhnliche Wege zu gehen und Dinge zu wagen?
Ja. Die Idee ist immer, vor allem die Sachen zu präsentieren, die sonst nicht zu sehen sind, zumindest nicht klassisch im Kino. So wollen wir dem Publikum neue Impulse geben. Spannend ist auch die Interaktivität des Filmfestes. Viele Filmschaffende sind während der Vorstellungen anwesend, sodass das Publikum mit ihnen im Anschluss an die Filme ins Gespräch kommen und Fragen stellen kann. So wird eine ganz andere Beziehung zum jeweiligen Film hergestellt. Bei „Wer war Hitler“ gab es vergangenes Jahr eine sehr angeregte Diskussion.
Auch aktuelle Themen werden beim Filmfest behandelt, so ist unter anderem der Film “Me Too – Fuck you – It’s time for action” für den Innovationspreis nominiert. Worum geht es genau?
Der Film greift natürlich die ganze MeToo-Debatte auf. Aber auf künstlerische Weise. Er ist in verschiedene Episoden aufgeteilt und nutzt eine Swipe-Optik, die man vom Smartphone kennt, anstelle von Blenden. Der Film erzählt also eine Geschichte mithilfe der Ästhetik eines Mediums, das er gleichzeitig kritisiert. Wir haben ihn ausgewählt, weil er sehr provokativ und auch beim Auswahl-Gremium nicht ganz unumstritten war.
Ist sonst noch etwas neu in diesem Jahr?
Es gibt wieder eine Sondersektion, die sich mit einer bestimmten Kunstform auseinandersetzt, die wir mit dem Thema Film in den Dialog stellen wollen. Wir finden, dass Film nicht immer so hermetisch abgeschlossen betrachtet werden sollte. Vergangenes Jahr drehte sich hierbei alles um Tanz, dieses Jahr ist das Thema Videokunst. In diesem Bereich zeigen wir Sachen, die primär nicht fürs Kino, sondern fürs Museum, für Ausstellungen, für andere Kontexte konzipiert sind und formen sie so um, dass sie doch zur Kinoaufführung werden. Es ist spannend zu beobachten, wie dies funktioniert und wie sich die Videos in ihrem neuen Kontext auch verändern.
Das Gespräch führte Alexandra Knief
Ilona Rieke (38) ist Programmleiterin des Filmfest Bremen und Geschäftsführerin vom Filmbüro Bremen. Die Kulturwissenschafterin hat das Filmfest 2015 mit ins Leben gerufen.
Filmfest Bremen
Das vierte Filmfest Bremen findet vom 20. bis 23. September statt. Die meisten Filme laufen in der Schauburg, weitere Veranstaltungsräume sind das Atlantis Kino und das City 46. Eröffnet wird das Festival im Theater Bremen. Den Festivalpass für 30 Euro gibt es im Vorverkauf unter anderem über Nordwest-Ticket. Er gilt für das gesamte Veranstaltungsprogramm sowie für die Bus- und Bahnfahrt zur Veranstaltung im VBN Bremen/Niedersachsen. Weitere Infos unter www.filmfestbremen.com