Tatsächlich? Und was ist ein wahrhaft gläubiger Mensch? Schwingen nicht immer Unsicherheit und Zweifel mit, Wünsche, was der Glaube sein kann, leisten soll oder muss? Und wer ist das überhaupt, dieser Gott?
In der Stadtkirche Unser Lieben Frauen kann man bis zum 31. August (montags bis sonnabends, 11 bis 16 Uhr) innehalten und sich einlassen auf ein vielstimmiges Glaubens-Konzert. „Standby“ heißt die so einfache wie faszinierende Sound-Installation der Vareler Künstlerin Geeske Janßen, die aufs Zuhören setzt. Janßen, Jahrgang 1986, hat Mitglieder der Gemeinde befragt, Junge und Alte, Männer, Frauen und Kinder. Wer sich einen der sechs kabellosen Kopfhörer aufsetzt, in der Kirche umherwandert oder sich hinsetzt und das Gehörte auf sich wirken lässt, bekommt einen Cocktail serviert, bei dem man nie mitbekommt, was Janßen genau gefragt hat. Das jeweilige Stichwort kristallisiert sich nach und nach aus den Antworten heraus – man soll und muss schon eine Weile dableiben. Das allerdings fällt nicht schwer. Wer sich erst einmal eingelassen hat auf die Sichtweisen und Erklärungsmodelle, der hört sich fest, wird nachdenklich, ist gerührt, lächelt in sich hinein.
Wer ist das also, dieser Gott? „Ein alter Mann mit einem Bart, der eher lang ist, und mit Brille. Und er hat kurze lockige Haare“, hört man ein Kind sehr bestimmt sagen, ein anderes mutmaßt: „Ein Geist“, ein drittes ist sich sicher: „Gott ist schon sehr nett“ und „will nicht immer mehr Macht haben“. Die Erwachsenen sprechen von einem „Denkmodell“, von „jemandem, der Du sagt“ oder der „da ist, wenn ich Liebe erfahre, wenn ich in der Natur bin oder die Sonne scheint“. Ein Mann zitiert die 24. Sure des Koran, die Gott als „Licht“ definiert. Hell, warm und liebevoll sind die Worte, die die Befragten wählen, eine strafende oder Respekt fordernde Instanz ist dieser Gott für keinen, auch wenn Gott „größer ist als die Welt“.
Auch die Zwiesprache mit ihm findet für fast alle Befragten fern von Ritualen wie Tisch- oder Abendgebeten statt. „Ich bete zwischendurch, manchmal auf dem Fahrrad“, sagt ein Mann, und eine ältere Frau fügt hinzu: „Wenn ich heil dort angekommen bin, wo ich hinwill, dann sage ich ihm ‚Danke‘.“ Eine Frau schickt „Stoßseufzer“ mit der konkreten Bitte darum, die Politiker in der Flüchtlingsfrage zur Vernunft kommen zu lassen. Und ein Kind geht das alles locker an: „Hi Gott, wie geht‘s Dir so?“ Wer auf diese Weise mit der höchsten Instanz seiner Religion umgeht, der nimmt natürlich auch nicht alles so hin, wie es die Bibel oder die Institution Kirche vorgeben. Altes und Neues Testament dienen vielen denn auch nicht als, nun ja, gottgegeben, sondern als Orientierungshilfe, die man auch kritisch sehen kann. „Es gibt Sätze, die mich gar nicht erreichen“ sagt ein Mann, ein anderer meint, bei aktuellen Problemen „hilft mir die Bibel nicht“, und für ein Kind sind die Sätze fern vom eigenen Erleben, weil sie „aus einer anderen Welt“ stammen. Die Kirche als Gebäude ist auch nicht unumstritten – „man kann auch so zu Gott beten“ heißt es, jemand findet, Gottesdienst unter freiem Himmel sei persönlicher. Ein anderer wiederum spürt die „sakrale Kraft“, wenn er eine Kirche betritt: „Die Stimmung ändert sich, das Gebäude spricht.“
„Standby“ ist eine kleine Momentaufnahme. Aber die Collage zeigt, dass Kirche sich wenig Sorgen um das Fortbestehen machen muss, solange sie Mitglieder hat, die sich differenziert und auch kritisch mit ihrem Glauben auseinandersetzen. Oder auch: fern aller Dogmen.
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