
Bremen. Vor drei Monaten hat der ehemalige Theater-Intendant Hans-Joachim Frey Bremen in Richtung Berlin verlassen. Jetzt spricht er erstmals über seine Zeit in der Hansestadt. Im Gespräch mit Lars Haider geht es um ein Debakel mit Ansage, fehlende belastbare Wirtschaftszahlen, ein ideologisches Totschlagargument und die Zukunft der Seebühne.
Sie leben seit drei Monaten in Berlin. Hat die Zeit gereicht, um das unschöne Ende Ihrer Intendanz in Bremen zu vergessen?
Hans-Joachim Frey:Eigentlich war es eine sehr schöne und wichtige Zeit in Bremen. Ich pflege immer noch intensive Kontakte zu vielen Freunden. Was ich aber unschön fand, war zu bemerken, dass einige Personen nach meinem Weggang noch schlechte Stimmung gegen mich gemacht haben, denn eigentlich bin ich nicht nachtragend. Aber mir ist schon wichtig, dass die Vorkommnisse rund um das Theater, wenn, dann schon mal objektiv dargestellt werden.
Soll was heißen?
Ich muss es jetzt mal loswerden: Im Sommer 2008 wurde ich aus dem Urlaub zurück in die Kulturbehörde gerufen und man hat mir mitgeteilt, dass die kaufmännische Geschäftsführung im Theater strukturell und personell neu aufgestellt werden müsste. Ich habe dies unterstützt. Es gab dann interne Arbeitsgruppen auch mit dem Vorsitzenden des Internationalen Kulturforums Theater Bremen, Norbert Schmelzle. Aber als es um die konkrete Umsetzung ging, passierte seitens des Kulturressorts nichts. Letztlich wurden zwei Jahre versäumt. Dazu gehört, dass niemand in der Kulturbehörde oder der Politik so tun darf, als sei die finanzielle Entwicklung des Theaters der letzten Jahre nicht bekannt gewesen. Ab Herbst 2008 wurden erst ein Kontrollausschuss und anschließend ein Wirtschaftsausschuss im Theater fest verankert. Von diesem Zeitpunkt an meldete der Ausschuss bis heute regelmäßig die finanzielle Entwicklung. In diesem Gremium war die Kulturbehörde mit zwei Personen vertreten. Aber es war auch klar erkennbar, dass die Verwaltung kaum in der Lage war, wirklich belastbare Zahlen zu produzieren.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel beim Musical wurde nach der letzten Vorstellung Ende Mai 2009 bestätigt, es wären nach wie vor die 1,2 Millionen Euro, wie offiziell verlautet. Eine Woche später waren es plötzlich 1,69, vier Wochen später hieß es dann auf einmal, es seien 2,4 Millionen Euro Defizit. So kann man natürlich schwer ein Projekt steuern und das war das Hauptproblem meiner gesamten Intendanz: Ich konnte mich zu keinem Zeitpunkt darauf verlassen, dass die Zahlen, die zur Verfügung standen, auch tatsächlich stimmten. Alle wussten das und es wurde nichts getan. Hier wurde viel Zeit verloren. Es gab keine wirkliche Arbeitsgrundlage.
Woran lag das?
Der Hauptgrund war, dass diverse Stellen im kaufmännischen Bereich in den letzten Jahren nicht wieder besetzt waren. Ich habe das mehrfach als Künstlerischer Geschäftsführer und Intendant gefordert und bemängelt. Eigentlich gab es zu keiner Zeit ein funktionierendes Controlling.
Dabei wäre das wichtiger gewesen als eine funktionierende künstlerische Leitung.
Beides ist wichtig, aber zu Beginn meiner Intendanz 2007 hatte das Theater 4,8 Millionen Euro Schulden. Schon damals war klar, dass wir sparen müssen. Aber wie soll man das richtig machen, wenn man nicht einmal genau weiß, wie viel Geld man für Mitarbeiter wirklich ausgibt? Angesichts der Lage des Theaters war es auch problematisch, dass es dann zudem in der gesamten Spielzeit 2009/10 keinen kaufmännischen Geschäftsführer gab. Da darf man sich insgesamt nicht wundern, wenn sich auf einmal heraus stellt, dass in der Vergangenheit der Personaletat viel zu niedrig berechnet worden ist, dass sich da verrechnet wurde. Da ist versäumt worden, dem Theater die notwendigen Grundlagen zur Verfügung zu stellen. Als ich diesen Fehler bemerkt hatte, habe ich es sofort an die Kulturbehörde gemeldet. Heute hat man ja darauf reagiert.
Trotzdem sind Sie zurückgetreten?
Was hätte ich machen sollen? Der Druck wurde ständig erhöht. Man wollte auch ablenken von sich, ich passte da anscheinend nicht ins System. Und dann gab es einen Punkt, an dem ich für mich und das Theater in diesem Zusammenhang keine Zukunft mehr gesehen habe. Ich wollte auch deutlich zeigen, wie es ist, Verantwortung zu übernehmen!
Das klingt verbittert.
Nein gar nicht, ich will nur Fairness. Ich bin mit vielem zufrieden in meiner Intendanz. Mit der Theatergalerie, dem IKTB, mit Katharina Wagner auf Aiweiwei, mit Produktionen wie 'Gegen die Wand'. Ich freue mich, dass meine Mitarbeiter, die ich geholt habe, jetzt im Team das Theater leiten, oder dass meine von mir mit Antwerpen koproduzierte Neuproduktion Mazeppa letztes Wochenende mit Erfolg am Theater Premiere hatte. Aber dass man mir nicht die Gelegenheit gegeben hat, im Einvernehmen zurückzutreten, dass man nachtreten muss, das entspricht nicht meinem Stil, obwohl ich ja schon die Verantwortung übernommen habe für eine Sache, an der sehr viele eigentlich mittragen. Hätten sich die Beteiligten rechtzeitig gekümmert, hätte vieles anders laufen können.
Und Sie wären vielleicht noch in Bremen?
Das weiß ich nicht. Aber ich spürte keine Rückendeckung mehr. Ich ärgere mich zudem darüber, dass immer gesagt wird, meine Intendanz sei nur von Events geprägt worden. Das ist doch eine Polarisierung, denn ich habe mit Marie Antoinette und der Seebühne zwei Events zu verantworten, darüber hinaus aber 75 weitere Produktionen, die zum Teil sehr positiv besprochen wurde. Aber in der öffentlichen medialen Wahrnehmung drängt natürlich immer das Event nach vorne. 'Frey gleich Event gleich Untergang der Bremer Kultur': Das war doch das ideologische Totschlagargument.
Wobei Sie schon wollten und wollen, dass Kunst ein Ereignis ist, um das Wort Event einmal zu übersetzen?
Natürlich! Überall in der Welt sagt man, eine Kulturveranstaltung zum Ereignis zu machen, ist das Ziel. Aber man kann einem Intendanten doch nicht im Ernst vorwerfen, dass er ereignisreiches Theater machen möchte, und, wie bei der Seebühne, auch Spektakel. Man muss das jeweils nur sauber auseinander halten. Ich zumindest hatte mir vorgenommen, das Bremer Theater aus seiner Nische heraus zu holen und einem größeren Publikum zu öffnen.
Und das kann man nicht, wenn der Intendant leise im Hintergrund arbeitet?
Meine These ist: In der Welt von heute, bei dem gesellschaftlichen Wandel, bei der Konkurrenz von Internet, neuen Medien, etc. wird Kultur nicht mehr genügend wahrgenommen, wenn man sich dezent zurückhält. Wichtig sind Inhalte, und die Vermittlung neuer Themen und die entsprechende Kommunikation. Genau wie Albert Schmitt das Gesicht der Deutschen Kammerphilharmonie und Thomas Albert jenes des Musikfestes ist, musste ich das des Theaters sein und eben auch andere Gruppen dort hin locken.
Welche Gruppen meinen Sie?
Bevor ich meine Arbeit aufgenommen habe, wurde analysiert, dass die Bürgerlichen in Bremen 2007 nicht mehr so stark ins Theater gingen. Mein Bestreben musste sein, sie zurück zu holen. Dass das gelungen ist, zeigt auch die große Unterstützung aus dieser Gruppe. Wir haben in den drei Jahren zwei Millionen Euro an Spenden und Sponsoring eingesammelt. Das hat sich auch jetzt gezeigt, als sich spontan eine Gruppe von Förderern zusammengetan hat, die bereit gewesen wäre, fast 500.000 Euro für die Fortsetzung der Seebühne zur Verfügung zu stellen.
Für 2011 und 2012 haben Sie einen gültigen Vertrag für die Seebühne.
Den ich auch gern erfüllen würde.
Im Moment sieht es nicht danach aus.
Anscheinend, wie ich in der Presse lesen musste. Aber offiziell hat bis heute keiner mit mir darüber gesprochen. Es gibt allerdings vieles, was ich an der Diskussion über die Seebühne nicht verstehe. Zum Beispiel, dass nur auf das Minus in diesem Jahr geschaut wird. 2008 und 2009 haben wir jeweils ein Plus erzielt, wenn man das Minus von 2010 dagegen rechnet, hat es funktioniert. Es geht aber gar nicht um die Ergebnisse der Seebühne, es geht immer um die Tatsache, wie man eine Sache in der Öffentlichkeit dargestellt haben will. Eine Neuproduktion am Theater wie jetzt zum Beispiel der Rosenkavalier ist genauso defizitär, wird aber aus dem Etat heraus subventioniert. Nur die Seebühne sollte sich immer als Ganzes rechnen. Dabei ging es doch dort um etwas ganz anderes. In Gröpelingen an der Weser, am Ort des Space Parks und der ehemaligen AG Weser: Dort an der Lebensader Bremens wollten wir Musiktheater für ein breites Publikum etablieren, um dieses an das Theater und die Oper heranzuführen. Bedenken Sie, 70000 Zuschauer in drei Jahren war doch dafür ein Traum. Wenn man jetzt rechtzeitig in den Vorverkauf für 2011 ohne Fußball- Großereignis gegangen wäre, für einen Operntitel wie Carmen, wäre ein Erfolg greifbar gewesen. Aber das will man jetzt nicht mehr. Zudem hatten wir es in diesem Sommer wegen der Fußball-Weltmeisterschaft und dem frühen Ferientermin ungleich schwerer als bisher. Das wäre in 2011 nicht so. Ich habe das Gefühl, dass man einfach keine neue Debatte über das Theater in der Stadt haben will. Stellen Sie sich einmal vor: Im Juni wird die Seebühne wieder bespielt, ab April ist Frey wieder in der Stadt - und im Mai sind Wahlen...
Ganz im Ernst: Sie ständen trotz der Vorgeschichten für die Seebühne bereit?
Klar, ich habe immer den Schulterschluss gesucht und halte mich ja im Hintergrund bei all den Ereignissen.
Was machen Sie sonst?
Es gibt viele Anfragen, aber im Moment stelle ich mich in Berlin als Geschäftsführer einer Firma für internationale Kulturprojekte auf und berate eine große Künstleragentur, zudem bereite ich den Semperopern-Ball in Dresden für den 14. Januar 2011 vor und eine große Gala in St. Petersburg im Juli 2011 anlässlich der 50-jährigen Städtepartnerschaft Dresden-St.Petersburg. Weiterhin führe ich nächstes Jahr einen Gesangswettbewerb am Moskauer Bolschoi-Theater durch und inszeniere dort im Sommer eine Oper. Außerdem werde ich, neben einem Lehrauftrag in Hamburg, eine Gast-Professur für internationales Kulturmanagement in Seoul übernehmen. Sie sehen, mir geht es gut, ich bin gut ausgelastet und denke ab und zu trotzdem an die vielen guten Freunde in Bremen.