
Sie schreiben, diskutieren Konzepte und Projekte, werkeln an Kunstobjekten, arbeiten mit und an Kompositionen und genießen in der am Ortsrand gelegenen Stipendiatenstätte die Ruhe und kreative Atmosphäre. Ergebnisse und Erkenntnisse nehmen sie in der Regel wieder mit nach Hause. Eine international besetzte Gruppe hat in diesem Herbst allerdings bleibende Spuren auf halbem Weg zwischen Worpsweder Bahnhof und Mühle hinterlassen – ein großes luftiges Versammlungshaus.
Tim Voss, seit 2013 künstlerischer Leiter der Künstlerhäuser Worpswede, muss ziemlich umtriebig sein, um die seit 1972 von einem Verein betriebene Stipendiatenstätte mit Leben zu erfüllen. Bis 2010 war das Haus mit der idyllischen Adresse „Vor den Pferdeweiden 16/18“ im Grunde ein Selbstgänger. Fachjurys wählten Künstler, Autoren und Musiker aus, die dann mit Stipendien des Landes Niedersachsen ein halbes oder auch ein ganzes Jahr in den großzügigen von dem Architekten und Künstler Walter Müller konzipierten Atelierwohnungen lebten und arbeiteten.
Der 2007 verstorbene Grafiker und Buchgestalter Martin Kausche wollte als Initiator des Projekts einen Beitrag dazu leisten, in dem insbesondere von seiner Historie lebenden Künstlerort zeitgenössische Kulturformen zu etablieren. 2009 stoppte das Land Niedersachsen seine Stipendiatenprogramme für Worpswede, und der Trägerverein der Künstlerhäuser musste sich neue Formen der Kulturförderung überlegen.
Nach einer Übergangsphase kam mit dem Künstler Tim Voss, der bis dato in Amsterdam tätig war, neues Leben in die Bude. Der jetzt nach Plänen des Berliner Architektenkollektivs ConstructLab weitgehend fertiggestellte temporäre Bau eines Versammlungshauses auf der Wiese vor den Atelierhäusern symbolisiert dieses neue Leben am augenfälligsten. Das kompakte Tragwerk aus Holz haben 15 junge Künstler, Handwerker und Lebenskünstler aus aller Welt gegen Kost und Logis errichtet. Ihnen zur Seite standen örtliche Sponsoren, Handwerksbetriebe und Nachbarn, die mit Geld, Maschinen, Material und ihrer Arbeitskraft tatkräftig halfen.
Das Mittelding zwischen temporärem zweigeschossigen Bau und Kunstwerk steht, der Fußboden fehlt noch. An den mit durchsichtigen Folien ausgeschlagenen Wänden hat der Hamburger Künstler Thomas Baldischwyler den programmatischen Spruch „Landschaft ist ohne Haus nicht denkbar“ angebracht. Dieser von dem Mitbegründer der Worpsweder Künstlerkolonie Heinrich Vogeler stammende Satz symbolisiert für Tim Voss die neue Bedeutung der Künstlerhäuser: „Wieder kommen wie vor mehr als 125 Jahren junge Künstler nach Worpswede, um sich abseits der Metropolen und Akademien mit dem Thema der Landschaft oder anderen Projekten auseinanderzusetzen. Ich gucke dabei darauf, was diese Menschen von Worpswede wollen, nicht, was Worpswede von ihnen hat.“
Und so kommen nun regelmäßig Studierende europäischer Kunsthochschulen, um in Worpswede Projekte zu entwickeln und zu realisieren. Für diese Gruppen sind die Ateliers zu klein, dafür braucht es das Versammlungshaus. Daneben kommen weiter einzelne Kulturschaffende nicht für Monate, sondern für deutlich kürzere Aufenthalte. Sie haben Stipendien des Landes Niedersachsen oder beispielsweise auch ein Aufenthaltsstipendium des Bremer Literaturkontors erhalten, sie wollen in den Martin-Kausche-Ateliers Projekte entwickeln, für die sich dann Tim Voss um eine Finanzierung bemüht. Sie mieten sich aber auch für einige Tage auf eigene Kosten in den Künstlerhäusern ein oder nehmen an Symposien teil, die Tim Voss organisiert.
Die Grundfinanzierung dafür liefern nach wie vor das Land Niedersachsen, aber auch der Landkreis Osterholz und die Gemeinde. Zusätzlich müssen sich der Trägerverein und sein künstlerischer Leiter um Drittmittel kümmern, das übliche Geschäft für solche Kultureinrichtungen. Die werden beispielsweise in nächster Zeit benötigt, um die maroden Atelierhäuser baulich und energietechnisch zu sanieren.
Und hat der Künstlerort Worpswede nun etwas von den Aktivitäten in der Stipendiatenstätte? Tim Voss: „In unserem neuen Haus werden wir zukünftig Veranstaltungen mit unseren Gästen anbieten können. Dann könnten wir wie unlängst im Sommer die israelische Künstlerin Karen Russo mit ihrem Hoetger-Projekt in der Großen Kunstschau stärker in den örtlichen Museen präsent sein. Wichtig ist aber auch, dass Worpswede als Ort der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst international wahrgenommen wird. Mit Symposien wie jüngst zum Horror, die hier kaum ein Publikum finden, sind wir in den weltweiten Netzen ziemlich gut präsent.“
Der Taubenschlag Künstlerhäuser Worpswede ist für dessen Leiter wegen der permanent wechselnden Bewohner zwar bisweilen anstrengend, aber ohne dieses Flügelschlagen, so sagt Tim Voss, würde Worpswede erstarren.