
Bremen. Sind Sie auch genervt von der allgegenwärtigen Hektik und dem Gedränge vor Weihnachten? Die neue Roncallis Circus meets Classic-Show "Winterwunderland", die am Dienstag im Musical Theater am Richtweg erfolgreich Premiere hatte, ist das beste Mittel, um dem Vorweihnachts-Stress für zwei Stunden zu entfliehen.
Circus-Prinzipal Bernhard Paul hat im Vergleich mit den anderen Shows, die in den vergangenen drei Wintern in Bremen zu sehen waren, dieses Mal auf allzu Kitschiges verzichtet, wie auf den Rauschgoldengel, der singend über die Bühne fliegt. Über der verschneiten Winterwunderlandschaft schweben jetzt vielmehr viele Söhne und Töchter der Luft und tanzen in schwindelerregender Höhe wagemutig Ballett. Dieses Live-Erlebnis ist in unserer schönen, neuen Welt des virtuellen Scheins so authentisch wie atemberaubend. Denn die Artistinnen und Artisten riskieren vor unseren Augen ohne Netz und doppelten Boden ihr Leben.
Den Anfang macht Natalya Motolygina mit der Luftspera. Der Moskauer Starregisseur Nikolay Chelnokov hat der jungen Russin die poetische Glaskugel-Kunst auf den grazilen Leib komponiert. Es scheint, als ob sie ihre geschmeidige Artistik in einer bunt schillernden, riesigen Seifenblase vollführen würde. Als atlethische, kraftvolle Tochter der Luft weiß auch die Amerikanerin Kaelyn Schmitt am Trapez zu überzeugen. Dann der sibirische Balletttänzer Alexey Bogomazov, der seine Karriere an der russischen Staatsoper begann. Mit hoheitsvoller Anmut wickelt er sich scheinbar mühelos an den Strapaten, herabhängenden Bändern, empor und geht in den Spagat. Der junge Wilde Remi Martin erklimmt schließlich in Windeseile den chinesischen Mast, um sich knapp unter der Hallendecke waghalsig hinabzustürzen und sich unmittelbar vor dem Aufprall wie eine Katze am Boden abzurollen. Der Atem stockt dem staunenden Publikum auch bei der riskanten, freihändigen Nummer von Alex und Emilie am Cadre Russe. In fünf Meter Höhe stehend und nur an der Taille befestigt schwingt der junge Kanadier seine zierliche Partnerin mit traumwandlerischer Sicherheit an Händen und Füßen und wirbelt sie in Salti durch die Luft.
Tanz und Artistik
Das Radiosinfonieorchester Pilsen spielt dazu unter der souveränen Leitung von Basil Coleman einen Walzer von Schostakowitsch. Die Sinfoniker setzen sonst im Wechsel mit dem Roncalli-Orchester auf muntere Circus-Marsch-Musik. Ein echter Hingucker ist auch Alex' Solo-Nummer. Mit vollendeter Körperbeherrschung rotiert und tanzt Alexandre Lane mit nacktem Oberkörper in seinem Gerät, einem einzigen Reifen aus Metall. Eine erregende Mischung aus zeitgenössischem Tanz und Artistik. Und dann erst die vier knackigen, russischen Kraftpakete der Gruppe Waterworld, die mit ballettreifer Kraftakrobatik die Muskeln ihrer Waschbrettbäuche spielen lassen. Ist Waterworld für die Zuschauerinnen die reinste Augenweide, kommen die Zuschauer bei der grazilen Ballerina Helena Lehmann auf ihre Kosten, die klassischen Spitzentanz mit der argentinischen Kunst der Boleadoras, an Bändern befestigte Gewichte, die durch die Luft wirbeln, kombiniert. Körper und Klang verschmelzen schließlich perfekt in der Handstand-Equilibristik-Nummer des "Duos Viola". Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter, dieses Shakespeare-Wort gilt auch für das ukrainische Duo. Die Musik ist auch die große Liebe von Martin Mall, der nicht nur das Spiel mit den Diabolos, die er in immer neuen Variationen um seinen schlanken Körper kreisen lässt, perfekt beherrscht. Mall lässt als Cellist und Jongleur in der Nummer "Cellovation" Bälle auf seinem Instrument auf- und abtanzen.
Wo sind die Clowns ? Auch diese Antwort bleibt die Winterwunderland-Show nicht schuldig. Da ist der Niederländer Raymond, der mit seinem drolligen Charme immer ein bisschen linkisch wirkt, aber als Dirigent seines Glocken-Orchesters, der die Zuschauerinnen und Zuschauer, die er auf die Bühne bittet, ganz schön dressiert. Oder die Musikalclowns Les Rossyanns, die mit Akkordeon und Trompete ein Stück Karneval in Venedig ins Musical Theater zaubern. Weißclown Yann besticht auch durch seine bestickten Kostüme.
"Winterwunderland" ist bis um 1. Januar 2012 zu sehen, Karten im Pressehaus und unter Telefon 363636.