
Oldenburg. Der Oldenburger Regisseur Lorenzio Fioroni holt die eigentlich um 1850 in Paris spielende Handlung von "La Bohème" in unsere Zeit. Vier Künstlerfreunde stehen frierend an einer Pommesbude, über der ein Bethlehem-Stern leuchtet. Ihre Armut und ihre existenzielle Not werden greifbar deutlich. Sie sind Strandgut der Gesellschaft und keineswegs Feingeister, sondern durchaus gewaltbereite Burschen. Der Hauswirt (Henry Kiichli) wird da schon mal brutal zusammengetreten. Der dritte Akt führt sogar auf eine trostlose Müllhalde, wo sie nach verwertbaren Dingen stochern. Von Romantik und Poesie findet sich keine Spur, Gefühle (in Puccinis Musik reichlich vorhanden) werden oft auf blanken Zynismus reduziert.
Konfetti von den Rängen
Mit überdimensionalen Hummern und Sektflaschen erblickt man ein albtraumartiges und grell-buntes "Schlaraffenland" (Bühne von Paul Zoller). Dort erfüllen die Künstler in Tierkostümen ihre Minijobs. Den Chor mit ihren Einkaufstüten lässt Fioroni auf den Rängen und im Zuschauerraum mit lautem Türknallen agieren. Konfetti fliegt von den Rängen, und Werbedurchsagen durchsetzen (und stören) immer wieder Puccinis Musik. Musettas Auftritt wird zur Klamauknummer. Das Schlussbild führt wieder an den Kiosk, wo sich Mimis trauriges Schicksal in Kälte und erbärmlicher Trostlosigkeit vollendet. Eine Inszenierung, die sich einer romantischen Sicht auf die Welt der Bohemiens völlig verweigert, die in ihrer Art aber konsequent umgesetzt wird. Der szenischen Kälte stellen Johannes Stert und das Oldenburgische Staatsorchester einen blühenden, runden Orchesterklang entgegen. Puccinis süße Melodien erklingen in ungebrochener Schönheit, den Farbenreichtum der Partitur setzt Stert mit vielen fein ausmusizierten Details schwelgerisch um. Hervorragend ausbalanciert ist das Quartett im 3. Akt. Dazu kommt ein Sängerensemble, das keinen Schwachpunkt hat. Stefan Heibach singt den Rodolfo mit geschmeidigem, lyrischem Tenor. Sein schönes Timbre, die höhensicher geführte Stimme und der schmerzliche Ausdruck passen gut zur Rolle und zum Regiekonzept. Auch Inga-Britt Andersson überzeugt als Mimi mit kraftvollem, manchmal etwas hart klingendem Sopran.
In der Schlussszene berührt sie mit schlichter, zu Herzen gehender Gestaltung. Ingela Onstad muss die Musetta regiebedingt als zickige, keifende Furie geben und wirbelt heißblütig über die Bühne. Ihre Arie singt sie allerdings, über sich selbst nachdenkend, ganz schlicht am Bühnenrand. Paul Brady und Peter Felix Bauer zeichnen Marcello und Schaunard als deftige Typen spielfreudig und mit robustem Bariton. Hervorzuheben ist Bassist Andrey Valiguras, der als Colline mit seiner Mantel-Arie einen besonderen Glanzpunkt setzt.
Weitere Aufführungen am 23. und am 28 Juni, jeweils 19.30 Uhr.