
Man glaubt es kaum: Video- oder Medienkunst ist inzwischen ein alter Hut. Seit mehr als 50 Jahren arbeiten Künstler mit bewegten Bildern, experimentieren mit Licht und Tönen. Was in den 1960er-Jahren noch geradezu revolutionär war, hat sich nach fünf Jahrzehnten etabliert und gehört mittlerweile wie die Malerei, die Grafik und die Bildhauerei selbstverständlich zum Kanon der Bildenden Kunst.
Die Bremer Kunsthalle verfügt über eine herausragende Sammlung der Medienkunst, besitzt Ikonen dieser Gattung. 50 der bewegendsten und stilbildenden Arbeiten dieses Genres sind ab diesem Sonnabend in der großen Sonderausstellung „Auto Vision“ zu sehen.
Eine hochkarätige Ausstellung
Dass die Bremer Kunsthalle eine so hochkarätige Ausstellung komplett aus eigenem Bestand auf die Beine stellen kann, ist im Grunde das Verdienst von Wulf Herzogenrath, der das Haus von 1994 bis Ende 2011 leitete und als international geschätzter Experte für Medienkunst viele der in diesem Sektor tätigen Künstler persönlich kannte.
Fast alle der jetzt gezeigten Exponate kamen während seiner Amtszeit in die Sammlung, wurden dem Haus von Künstlern geschenkt oder für die Kunsthalle angekauft. Insofern ist die aktuelle, von Direktor Christoph Grunenberg und Lena Schrage gemeinsam kuratierte Ausstellung eine noble Hommage an Wulf Herzogenrath.
Erster Eindruck von der Schau: Die inzwischen etablierte Medienkunst hat ihren Bürgerschreck-Charakter längst verloren. Die einst so verstörenden Arbeiten eines Nam June Paik, von Wolf Vostell, den Fluxfilm-Künstlern um George Maciunas oder von Otto Piene faszinieren heute wegen ihrer Machart, ihres Witzes und der völlig aus der Zeit gefallenen politischen Aussagen. Mehr noch: Die raumgreifenden Videoinstallationen von Diana Thater mit den schwimmenden Delphinen, der Anblick ihres auf neun Bildschirmen wabernden Sonnenballs in einem ganz in rotes Licht getauchten Raum sind voller Poesie.
Komponierter Film aus 40 gezeichneten Bildern
Der aus 40 gezeichneten Bildern komponierte Film von William Kentridge über den in Paris lebenden Flüchtling Felix und die südafrikanische Landvermesserin Nandi und die für dieses Video entstandenen beiden großformatigen Zeichnungen bestechen durch ihre erzählerische Kraft und durch ihre handwerkliche Ausführung.
Von großer poetischer Kraft sind zudem Olafur Eliassons gelber „Room for one colour and windy corner“ sowie Arnold von Wedemeyers animiertes Stillleben eines blühenden und verwelkenden Tulpenstraußes vor dem integrierten Video eines wellenbewegten Meeressaums mit durchlaufenden Börsenkursen.
Zweiter Eindruck von der Schau: Es bedarf heute viel technischer Finesse, um die längst nicht mehr gebräuchlichen Geräte präsentieren zu können. Nam June Paik hat zwar noch zu Lebzeiten erlaubt, dass die von ihm benutzten Monitore auch durch neuere Technik ersetzt werden können, doch seine 1969 entstandene Ikone der Medienkunst, der turmartige „Video Synthesizer“ würde ohne alte Technik an Reiz verlieren.
Edward Hoppers „Nighthawks“
Das gilt noch viel mehr für Simon Starlings Arbeit „D1-Z1(22,686,575:1), die Bilder von Konrad Zuses erstem programmierbaren Computer über einen in den 1950-er Jahren in der DDR gebauten Filmprojektor namens Dresden D1 abspielt. Und ganz sicher wäre auch Jon Kesslers kinetische Skulptur, die Edward Hoppers berühmtes Bild „Nighthawks“ in eine künstlich erzeugte Landschaft einbettet, ohne die verwirrend vielfältige Ansammlung technischer Gerätschaften halb so interessant. Die Kunsthalle Bremen beschäftigt mit Frank Ströpken einen Medientechniker, der alle diese Objekte mit viel Geschick am Leben erhält.
Die chronologisch gruppierte Schau (Parterre und drittes Geschoss) ermöglicht ein Wiedersehen mit Werken von Pipilotti Rist oder Olafur Eliasson. Erstmals zeigt sie auch Exponate, die wie Jürgen Wallers „Manhattan“ lange im Besitz der Kunsthalle sind. Sie zeigt Ulla von Brandenburgs Video „The Letter“ endlich nicht bloß als Ausschnitt, sondern in allen drei Teilen. Zu sehen sind auch Kuriositäten wie Nam June Paiks gefilmtes Aquarium, für das fünf Fische der Gattung Gürtelbarben aus einer Zoohandlung in die Ausstellung umquartiert wurden.
30 Künstler sind in der Schau vertreten. Sie beginnt mit Arbeiten von Nam June Paik aus den frühen 60er-Jahren, und sie endet mit einem 2010 von Christian Jankowski produzierten Video. Es zeigt die Reinigungsfirma „Beautiful Cleaning“. Sie säubert das von New York nach Seoul transferierte chaotische Atelier von Nam June Paik, ehe es Restauratoren bis ins letzte Detail wieder chaotisch einrichten.