
Ein weißfelliges Etwas stürmt so wild über die Bühne des Brauhauses, dass die Kunsthärchen im Scheinwerferlicht nur so stieben. Yeti oder Schneekaninchen, Hermelin oder Polarfuchs? Das sind nur zwei unter Hunderten von Fragen, die Birgit Freitags zum Ko-Fabulieren ladende Choreografie „Für vier“ aufwirft. Im Hintergrund des dynamischen Geschehens, das in Gestalt eines vorzüglich besetzten Tanzquartetts um familiäre Konstellationen und Selbstverortung kreist, laufen sie beinahe ohne Unterlass vor den Augen des Publikums ab: Wenn du ein Tier sein würdest, welches wärest du? Bist du unglücklich, weil du heute älter bist als gestern? Ist die Welt voller geheimer Botschaften? Verbummelst du dein Leben? Bin ich frei, wenn auf meinem Schreibblock keine Linien sind?
Naturgemäß geht es oft um Entscheidungsfreiheit in dieser gewitzten Koproduktion von Moks und Jungen Akteuren. Michael Henn hat für die vier Spieler einen treibenden Soundteppich ausgelegt, der offenkundig den Geschmack der mehrheitlich jugendlichen Zuschauer trifft – und sich trefflich zu den Situationen fügt, in die Birgit Freitag die rührigen Akteure entsendet.
Ihr Alter und ihr Geschlecht, ihre Geschichte und ihre Herkunft, ihre gegenwärtigen Befindlichkeiten, vor allem aber ihr forsch ausgestellter Wille zum Wissen geben Raum für ergiebige Selbstinspektionen und Fremderkundungen, die stimmig und stimmungsvoll in Texte und Bewegungen umgesetzt werden. Wenn dann noch vier Mikrofone schwungvoll über der Bühne baumeln und die musikalische Untermalung an Drive zunimmt, hat die Choreografie einen nahezu unwiderstehlichen Sog.
Die Besetzung des Quartetts ist sinnig und geglückt: Der versierte Schauspieler Julian Anatol Schneider, ein Mittzwanziger, und die kraftvolle Performerin Anna Jäger, Anfang 30, agieren reif genug, um Vertreter einer Generation zu verkörpern, der die Lebenswelt der beiden jüngeren Darsteller, Hanna Mencz und Raúl Stadler Torrijos, zwar noch nicht fremd ist, aber auch nicht mehr vertraut.
Es zeichnet Freitags Arbeitsweise aus, dass die Biografien der Akteure – ihre Migrationshistorien, ihre Leidenschaften, ihre Hoffnungen, ihre Selbstzweifel – zu tragenden Säulen der Choreografie werden. Das verhielt sich schon so beim Vorläufer dieser Produktion, einem Duett namens „Eins zu Eins“, das die Begegnung eines Zehnjährigen mit einem 30-jährigen Schauspieler auslotet.
Entsprechend viel ist aus dem Leben der beiden Jugendlichen zu erfahren: Hanna Mencz und Raúl Stadler Torrijos sind durch Auswahlworkshops zu dieser Produktion gekommen, proben seit Herbst vergangenen Jahres mit den beiden älteren Profis – und machen ihre Sache richtig, richtig gut. Ihnen allen spendiert Birgit Freitag poetische Bilder und anrührende Szenen, die dem Dialog zwischen den Generationen und Geschlechtern bedenkenswerte Erkenntnisse hinzufügen. Viel Beifall quittiert das sehr unterhaltsam dargebotene Anschauungsmaterial.
Weitere Aufführungen im Brauhaus:
22., 23. und 24. März, jeweils um 19 Uhr.