
Bremen. Wie sie reagiert hat, als sie erfahren hat, dass sie den diesjährigen National Award für Deutschland bei den Sony World Photography Awards gewonnen hat? Dafür hat Astrid Susanna Schulz klare Worte: „Ich habe mich natürlich gefreut wie Bolle“. Fotografen in insgesamt 53 Ländern wurden in diesem Jahr mit dem Preis ausgezeichnet. Aus weltweit mehreren hunderttausend Einsendungen überzeugte Schulz‘ Arbeit unter den Beiträgen aus Deutschland die Jury am meisten. Der Preis – ein komplett neues Kameraequipment – sei eine tolle Anerkennung für ihr Schaffen, findet die Fotografin. Nur leider ließe er bisher noch auf sich warten. Für Schulz kein Problem – auch, wenn sie neugierig ist.
Schulz wurde 1972 in Wildeshausen geboren und ist in Harpstedt aufgewachsen. Seit 1998 wohnt sie in Bremen. „Ich wollte immer in der Stadt leben“, sagt sie. Bremen sei es geworden, weil sie sehr heimatverbunden sei und ihre Familie in der Nähe habe. „Ich fühle mich hier einfach wohl.“ Die Fotografin hat eigentlich eine Ausbildung im kaufmännischen Bereich gemacht. Ihre Liebe zur Fotografie hat sie erst vor einigen Jahren entdeckt, als ihr Vater ihr seine alte Spiegelreflexkamera aus den 1970er-Jahren geschenkt hat. Das Handwerk hat sie sich selbst und mit der Hilfe von befreundeten Fotografen beigebracht. „Zum Fotografieren braucht man vor allem einen bestimmen Blick auf die Welt“, sagt Schulz. „Und den habe ich.“
Seit sie das herausgefunden hat, ist sie nicht mehr zu halten. „Heute spielt die Fotografie eine zentrale Rolle in meinem Leben.“ Zwar arbeitet sie noch immer in Teilzeit kaufmännisch, den Rest ihrer Zeit verbringt sie allerdings hinter der Kamera – mal für Auftragsarbeiten, vor allem aber, um ihre eigenen Ideen umzusetzen. Und davon hat sie viele. Im Mittelpunkt steht aber immer dasselbe Thema: der Mensch. Denn: „Landschaften finde ich total langweilig“, so Schulz. Bei Menschen sei das ganz anders. Jeder Einzelne sei spannend, jeder Körper habe seine ganz individuelle Ästhetik. „Menschen sind einfach faszinierend. Deshalb fotografiere ich sie.“
So auch in ihrer Serie „Moving Portraits“, aus der das Siegerbild bei den National Awards stammt. Darin experimentiert Schulz mit Langzeitbelichtung und Blitz, sodass recht surreale Porträts entstehen, denen es gelingt, gleich mehrere Emotionen gleichzeitig zu transportieren. Das Siegerbild zeigt eine junge Frau mit kurz geschorenen Haaren. „Das ist mein absolutes Lieblingsbild“, sagt Schulz. „Die Farbigkeit, das Licht – alles stimmt perfekt.“ Mit der Serie begonnen hat sie 2020, nachdem sie auch die Arbeit an ihrer Reihe „Bodies in movement“ gestartet hatte, bei der sie mit einem ähnlichen Prinzip arbeitet. Während die meisten ihrer Arbeiten schwarz-weiß sind, finden sich hier einige Bilder in Farbe, und das hat auch einen Grund: Sie durfte als eine von 20 Fotografen in den Räumen der für die neue „Remix“-Ausstellung leer geräumten Kunsthalle Bilder aufnehmen – mit gelben, lilafarbenen und roten Räumen. „Ein Erlebnis, das mir in Erinnerung geblieben ist“, sagt Schulz.
Ein eigenes Atelier hat die 48-Jährige nicht. Ihre Shootings finden in ihrem Wohnzimmer statt. Ob sie zu Hause ihre eigenen Bilder an der Wand hängen hat? „Das wäre voll arrogant, oder?“, fragt sie und lacht. Ein paar eigene Arbeiten hingen aber tatsächlich dort, gibt sie schließlich zu. Einfach, weil ein gedrucktes Bild noch einmal eine ganz andere Wirkung habe als ein digitales.
Rollenbilder, Körperideale – dies sind Themen, die Schulz beschäftigen, die sie hinterfragen möchte und die deshalb in ihren Porträts und Akten immer wieder auftauchen. „Wir werden viel auf unseren Körper reduziert“, sagt Schulz. Das merke sie auch immer wieder in den Gesprächen mit ihren Modellen. Nicht selten erzählten ihr Frauen, dass sie schon einmal wegen ihres Körpers gehänselt wurden. „So etwas zu hören, nimmt mich sehr mit“, sagt die Fotografin. Darum sei es auch eines ihrer Ziele, ihren Modellen Selbstvertrauen zu gehen und mit ihren Arbeiten zu zeigen, wie schön sie sind. Jede auf ihre ganz eigene Weise. „Wenn die Frauen nach dem Shooting zu mir sagen: Wow, so habe ich meinen Körper ja noch nie gesehen, dann ist das die schönste Rückmeldung für mich.“
Schulz hat eine Serie gemacht, in der sie Männer über 45 Jahren mit einem imposanten, weißen Perlencollier im Stil alter Herrenporträts von Holbein oder Dürer abbildet und so mit Geschlechterklischees spielt. In ihren Serien „Connected“ und „Hidden Faces“ kombiniert sie die von ihr festgehaltenen Körper mit historischen Eisenwerkzeugen und anderen Dingen, die sie spannend findet und oft auf der Straße oder auf Flohmärkten entdeckt. Auch Menschen, die sie interessieren, spricht sie manchmal auf der Straße an. Viel laufe heutzutage aber auch über Freunde und die sozialen Medien. Schulz nimmt sich Zeit für ihre Modelle, redet vor den Shootings lange mit ihnen. „Das können schon mal ein oder zwei Stunden sein“, sagt sie. „Ich bin neugierig auf die Menschen, möchte mehr von ihnen erfahren.“ Auch das sei wichtig, damit ihr Modell sich vor der Kamera wohl fühle – immerhin sind es häufig sehr intime Fotos, die in Schulz‘ Wohnzimmer entstehen.
Ihr aktuellstes Projekt ist die Fotoserie „There are lines“, in der sie Ausschnitte verschiedener Körperbereiche festhält. Nackte Haut, zusammengedrückt, sodass sie Wellen schlägt, sich wölbt, Fältchen bildet. Es sind Körper, die etwas erlebt haben. Die mit ihren Narben und Besonderheiten Geschichten erzählen. „Ich wollte normale Körper zeigen, Täler, Licht und Schatten, die Landschaften bilden“, sagt Schulz. Es gibt sie also doch, die Landschaft in Schulz‘ Fotografien. Nur sind es bei ihr eben Körperlandschaften.
Für ihr aktuelles Projekt „There are lines“ sucht Schulz noch Teilnehmerinnen, die älter sind als 70 Jahre. Weitere Infos und Eindrücke der Serie unter www.astridsusannaschulz.de.