
Bremen. Der Zoologe Hugo Schauinsland (1857-1937) wurde im Jahr 1887, zur Hoch-Zeit des Kolonialismus, in Bremen Direktor der Städtischen Sammlungen für Naturgeschichte und Ethnographie. So gut kamen die von ihm in aller Welt zusammengeklaubten Schätze bei einer 1890 im Bürgerpark veranstalteten Messe an, die einen Kolonial- und Handelsschwerpunkt mit Völkerschau-Elementen hatte, dass sich prompt potente Finanziers fanden, um den ausstellbaren Erträgen ein eigenes Haus zu widmen: Im Jahr 1896 wurde das Städtische Museum für Natur-, Völker- und Handelskunde eröffnet, Vorläufer des Übersee-Museums. Gründungsdirektor: Hugo Schauinsland, dieser begnadete Netzwerker, der die zahlreichen Kontakte von Konsuln und bremischen Handelshäusern nach Übersee weidlich nutzte. Die Stücke, die er für seine Sammlungen akquirierte, transportierten Schiffe des Norddeutschen Lloyd gratis. Laut Renate Noda, Leiterin der Abteilung Völkerkunde, verstand sich die Reederei als „Sponsor“ der einträglichen Unternehmungen des vielreisenden Direktors, dem die promovierte Japanologin immerhin „Faszination und Wohlwollen“ attestiert.
Umsonst auf große Fahrt ging auch der Wissenschaftler mit dem sprechenden Namen und den mondänen Missionen. Drei ausgedehnte Reisen im Dienste einer Erweiterung der Sammlungsbestände unternahm der Naturkundige. Die erste führte ihn 1896/97 auf die Chatham-Inseln und nach Neuseeland. Schauinsland blieb dabei ganz Kind seiner Epoche, was vieles erklärt, aber nichts entschuldigt. Er folgte dem Zeitgeist der Musealisierung im ausgehenden 19. Jahrhundert, als er Objekte für die anthropologische Kollektion seines Ausstellungshauses in Gewahrsam nahm: Skelette – mal mit, mal ohne Schädel –, Knochen und Wirbel, ein halber Unterkiefer. Die sterblichen Überreste stammten von Moriori und Maori, Ethnien, die zum Wohle der kolonialen Sammelpassion eurozentrischer Herrenmenschen enteignet wurden. Erst im Mai des Jahres 2017 kam es schließlich zur Rückgabe von Gebeinen an Neuseeland.
Dass sich die Restitution hinzog, lag nicht zuletzt daran, dass es längst nicht für alle Gerippe-Fragmente aus Asien, Afrika, Südamerika und Ozeanien, die im Fundus des Museums lagerten und lagern, Eingangsbelege gibt. Denn jener hastige Handel, dem neben Hugo Schauinsland auch andere raffende Museumsagenten frönten, war im Kapitalismus kolonialer Prägung üblich. Wenn keine Quittung existiert, gibt es kein nachweisbares Unrecht, so lautete die krude Logik der Kulturgutplünderer. Umso erfreulicher, dass sich das Übersee-Museum in „Spurensuche“, seiner neuen Dauerausstellung, intensiv und selbstkritisch mit dem Zustandekommen der eigenen Bestände auseinandersetzt.
Bremen, diese Stadt der Kolonien, bedarf bekanntlich insgesamt angemessener Aufarbeitung. Wie diese sich ansehnlich gestalten lässt, macht das Museum in seiner aktuellen Schau vor. Trefflich lässt sich dort beispielsweise nachvollziehen, wie und was Schauinsland im Zuge seiner Exkursionen, die Renate Noda als „pragmatische Handelsreisen eines sehr guten Beobachters und effizienten Geschäftsmanns“ charakterisiert, bei Zwischenhändlern in China, Japan und anderswo für sein zusehends profitierendes und prosperierendes Haus erwarb. Eine Atlas-Skulptur, auf der die Handelsrouten des Norddeutschen Lloyd, mithin jene von Hugo Schauinsland markiert sind, führt Museumsbesuchern eindringlich vor Augen, wo sich der Bremer Museumsdirektor überall Porzellan und eingelegte Tiere, Werkzeuge und Schnupftabakdosen zum Wohle der heimischen Sammlungen einpacken ließ.
Noch spannender als das Betrachten einzelner Exponate ist freilich die Besichtigung gewandelter Modalitäten der Inszenierung. So wird bei einem Rundgang anhand ausführlicher Texttafeln und neuarrangierter Szenarien deutlich, wie sehr einstige Publikumslieblinge im Übersee-Museum der Tee- und Kaffeestadt Bremen – beispielsweise der Kolonialwarenladen und das Südseehaus – den Gepflogenheiten der Hugo-Schauinsland-Zeit geschuldet waren. Insbesondere die sogenannten Schaugruppen, die mit menschenähnlichen Figuren ausgestattet wurden, um das Leben in Übersee tunlichst plastisch nachvollziehbar zu machen, waren mit Klischees gespickt. Grund genug für die „Spurensuche“-Kuratoren, den dominanten westlichen Blick in der Figurendarstellung zu revidieren. So muss etwa das aufwendig aus Einzelbestandteilen zusammengebaute Südseehaus anders als vormals ohne Menschenfiguren auskommen; nur und immerhin eine Wildschwein-Figur ist als Konzession an den Geschmack kleinerer Besucher zu sehen.
Um die Darstellung „edler Wilder“ und die Überlieferung anderer Stereotypen abzuwenden, bedarf es eines Kommentarteils, der übliche Längen begleitender Texte oft überbietet. Die Lektüre lohnt. Denn es sind ein ums andere Mal Details, in denen der Teufel stereotyper Charakterisierungen steckt. Etwa bei jenen sogenannten Lebendpuppen, die Schauinsland in Japan für die Asien-Abteilung des Museums orderte. Besonders mit den chinesisch modellierten Köpfen, die er als „japanisierte Chinesen“ schmähte, zeigte sich der Kulturfunktionär wiederholt unzufrieden – und schickte sie zur Nachbearbeitung zurück. Renate Noda berichtet von „Rikschafahrern, die Schauinsland zu sauber aussahen“. Der Umstand, dass sich Schauinsland bei seiner Bemessung vermeintlicher Authentizität mehr an populären Büchern aus dem abendländischen Kulturkreis orientierte als an Einschätzung und Empirie echter Asiaten, spricht sozusagen rassistische Bände.
Das Bremen Übersee-Museum beleuchtet in der neuen Dauerausstellung „Spurensuche“ seine Geschichte. Wir stellen die einzelnen Epochen in einer kleinen Serie vor. Die nächste Folge befasst sich damit, wie das Haus während der Zeit des Nationalsozialismus gleichgeschaltet wurde.