
Bremen. Ein Mann sitzt im Rollstuhl, die Hände voller Altersflecken, die Haut faltig, auf dem Kopf ein paar weiße Haare. Frank Sheeran, einst ein berüchtigter Mafia-Killer, lebt nun im Seniorenheim. Kein sehr glamouröser Ort für einen, der mal ziemlich weit oben mitgemischt hat und der gefürchtet war. Nun ist Frank Sheeran alt und gebrechlich, und die Einsamkeit frisst ihn auf.
Robert de Niro, selbst 76 Jahre alt, spielt den 2003 gestorbenen Killer in „The Irishman“, dem neuen Film von Martin Scorsese, der auch schon 77 Lenze zählt. Mit dabei sind weitere alte Haudegen wie Joe Pesci (76) und – zum ersten Mal in einem Scorsese-Film – Al Pacino (79). Scorsese lässt Frank Sheeran auf sein Leben zurückblicken, in satten dreieinhalb Stunden Laufzeit. Um Geld für diese Produktion hat der Regisseur 15 Jahre lang gerungen, die großen Hollywoodstudios haben abgewunken, der Streamingdienst Netflix ist schließlich in die Bresche gesprungen. Dort ist das Werk ab sofort abrufbar. Die Kinos bekamen einen Vorsprung von zwei Wochen.
Scorsese, der mit Filmen wie „Mean Streets“, „Goodfellas“ oder „The Departed“ nicht unmaßgeblich am Mythos des Mafiosi als coolem Typen gestrickt hat, entzaubert diesen in seiner Produktion gehörig. Frank Sheeran beginnt in den 1950ern als Fahrer, der hier und da mal kleine Betrügereien begeht. Dann erregt er die Aufmerksamkeit des regionalen Mafia-Paten Russell Buffalino (Pesci), wird eine Art Ausputzer, der diejenigen aus dem Weg räumt, die nicht genehm sind. Schließlich wirbt ihn der so mächtige wie umstrittene Gewerkschaftsboss James „Jimmy“ Hoffa an, der eng verbandelt ist mit der Cosa Nostra. Sein Verschwinden am 30. Juli 1975 bis heute ungeklärt.
Scorsese hat sein Mammutwerk, das auf einem Sachbuch basiert, elegant ineinander verschachtelt, mit Rückblicken in Rückblicken. Der alte Sheeran im Seniorenheim erinnert sich an sein Leben, eine zweite Rahmenhandlung bildet der Roadtrip des dreißig Jahre Jüngeren mit Buffalino samt Ehefrauen zu einer Hochzeit. Eigentlich geht es darum, dass Hoffa diszipliniert werden soll. Von dort springt Scorsese in verschiedene weitere Lebensstationen des „Irishman“. Die stets präsenten Fernsehnachrichten geben Hinweise darauf, welches Jahr gerade geschrieben wird. Vor den Augen der Zuschauer fächert Scorsese so die Banalität der Bösen auf. Seine Morde begeht Sheeran fast beiläufig, der Fokus des Films liegt auf dem Alltag, auf endlosen, teils mit lächerlichen Codewörtern gespickten Gesprächen, in denen der Cast zu Hochform aufläuft. Scorsese nimmt sich Zeit, um die Entstehung dieser fatalen Männerfreundschaften zu erzählen. Das ist manchmal zäh geraten, und auch die digitale Verjüngung der alten Herren wirkt nicht richtig ausgereift. Frauen sind zudem Staffage – Anna Paquin spielt als Tochter, die sich mit Abscheu abwendet, die einzig ernst zu nehmende weibliche Rolle. Dadurch wirkt der Film wie aus der Zeit gefallen. Trotzdem fesselt das exquisit von Rodrigo Prieto fotografierte Alterswerk Scorseses bis zur bitteren Schluss-Sequenz.
„The Irishman“, 210 Minuten, Anbieter: Netflix. In Bremen ist der Film zudem ab und an in den Bremer Filmkunsttheatern zu sehen, beispielsweise am Sonntag, 1. Dezember, 13.30 Uhr im Atlantis.
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