
Das Paradies ist eine Raucherkneipe. Das zumindest findet Victor (Daniel Auteuil). Der frühere Zeitungskarikaturist ist einer dieser Menschen, die allen Fortschritt einigermaßen skeptisch beobachten. Handys? Nerven. Computer? Machen Menschen arbeitslos. Rauchverbote? Überflüssig.
Der Film „Die schönste Zeit unseres Lebens“ beginnt deshalb alles andere als schön. Victor ist frustriert; von der Gegenwart, vor allem aber von seiner Frau. Denn Marianne (Fanny Ardant) ist das Gegenteil einer Nostalgikerin, lebt ganz im Hier und Jetzt. Die gemeinsame Altbauwohnung füllt sie mit technischem Schnickschnack; während er vor dem Schlafengehen ein Buch liest, träumt sie sich per digitaler Schlafmaske in die Südsee.
Marianne findet Victor weltfremd, langweilig, altmodisch. Victor findet Marianne hektisch, ungemütlich, anstrengend. Also streiten die beiden. Ständig. Bitterböse. Bis die erfolgreiche Psychotherapeutin ihren arbeitslosen Mann vor die Tür setzt – und Victor sehen muss, wo er bleibt.
Gerade recht kommt da das Geschenk, das der gemeinsame Sohn Maxime (Michaël Cohen), Chef eines erfolgreichen Digitalunternehmens, seinem Vater gemacht hat. Denn Maximes guter Freund Antoine (Guillaume Canet) betreibt eine Agentur mit interessanter Geschäftsidee: Kunden können einen Ausflug in die Vergangenheit buchen, Jahrzehnt egal. Noch einmal mit dem verstorbenen Vater Kaffee trinken? Sich im 19. Jahrhundert ungehemmt von Slaven bedienen lassen? Mit Hitler abhängen?
Kein Wunsch ist zu geschmacklos, keine Zeit zu fern – sofern die Bezahlung stimmt. Denn: Wäre der Film des französischen Regisseurs Nicolas Bedos ein Science-Fiction-Streifen, könnte Antoine seine Besucher per Zeitmaschine ins Damals schicken. Ist er aber nicht. Die Kunden der Agentur reisen nicht wirklich; Antoine holt das Damals in die Gegenwart.
Wie am Set eines Historienfilms lässt er mit sehr viel Liebe zum Detail Orte entstehen, die es längst nicht mehr gibt; Darsteller werden gecastet, Kostüme gefertigt, Requisiten organisiert.Victor weiß sofort, wohin er reisen möchte: in den Frühsommer 1974; jene Zeit, in der er seine Frau kennenlernte. Denn damals, sagt Victor, habe das große Glück noch in der Zukunft gelegen, „damals hat es noch Spaß gemacht, ich zu sein“.
Die Szenen, in denen Victor wenig später die von ihm bestellte Scheinwelt betritt, gehören zu den schönsten, am liebevollsten erzählten des Films: Ein Mittsechziger betritt in maßangefertigter Schlaghose und Absatzschuhen seine frühere, völlig verqualmte Stammkneipe; der Wirt nennt ihn „Junge“, die Kellnerin fragt: „Wie immer?“ Anfangs ist Victor skeptisch – doch dann betritt Marianne, gespielt von der jungen Schauspielerin Margot (Doria Tillier), die Bar. Und die macht ihre Sache so gut, dass es Victor gar nicht so leicht fällt, ins Heute zurückzukehren.
„Die schönste Zeit unseres Lebens“ ist in erster Linie eines: eine kurzweilige, wunderbar leicht erzählte, hervorragend gespielte Komödie. Nebenbei aber gelingt es Bedos, ganz zwanglos ernstere Fragen aufzuwerfen. Zum Beispiel, ob früher wirklich alles besser war; ob das Gewonnene nicht vielleicht schwerer wiegt als das Verlorene. Zum Beispiel, ob das Verklären des Damals nur ein Vermeiden der Probleme von heute ist. Zum Beispiel, ob es nicht auch etwas Heilsames haben kann, sich an den Zauber des Anfangs zu erinnern, lange nicht Gefühltes noch einmal zu fühlen.
Antworten gibt Bedos nicht; vielmehr scheint er durchspielen zu wollen, was passiert, wenn der Mensch die Wahl hat zwischen Vorwärts und Rückwärts. Als Zuschauer indes möchte man am liebsten gleich selbst eine Zeitreise buchen. Wohin? Diese Frage dürfte in den kommenden Wochen so manchen Heimweg-Dialog beherrschen.
„Die schönste Zeit unseres Lebens“ läuft in den Bremer Filmkunsttheatern.