
Bremen. Ein Museumsbesucher erinnert sich: Vor knapp fünfzig Jahren, als er gerade einmal vier oder fünf Jahre alt war, machte er immer einen großen Bogen um das Übersee-Museum. Ja, er wechselte sogar die Straßenseite, wenn er einmal daran vorbei musste. Der Grund: Jemand hatte ihm erzählt, dass es im Museumskeller Alligatoren gibt, und durch die TV-Serie „Tarzan“ wusste er ganz genau, wie gefährlich die sind! „Jedes Mal, wenn ich heute an dem Gebäude vorbeigehe, bereitet mir diese Erinnerung Freude“, schreibt der Besucher auf einer Postkarte, die das Museum im Rahmen seiner „Spurensuche“-Ausstellung ausgelegt hat.
Ein Teil der neuen Dauerausstellung ist der „Liebste Stücke“-Raum, für den das Museum eine Auswahl an Objekten aus dem Fundus neu hergerichtet hat, die im Laufe der Museumsgeschichte bei den Besuchern besonders gut ankam. Mit den ausgelegten leeren Postkarten ruft die Einrichtung außerdem dazu auf, Erinnerungen an ganz persönliche Lieblings-Exponate und Ausstellungen zu teilen. Knapp 150 Karten wurden laut Charlotte Altenmüller aus der Presseabteilung des Museums bereits ausgefüllt. Die Highlights hat das Museum anonymisiert auf seiner Webseite veröffentlicht.
Viele Erinnerungen der Besucher hängen bis heute mit dem in den 70er-Jahren geschlossenen Aquarium des Museums zusammen. Andere erinnern sich an komplette Ausstellungen oder beschreiben das Gefühl, das sie hatten, als sie in Kindertagen zum ersten Mal das Übersee-Museum betraten. Einen bleibenden Eindruck hat bei vielen zum Beispiel die Scheibe eines Küstenmammutbaumes hinterlassen, die bis heute im ersten Obergeschoss des Museums in der Ausstellung „Erleben, was die Welt bewegt“ zu sehen ist. Die Scheibe wurde dem Museum 1958 von einem Bremer Holzhändler geschenkt. Der Baum ist 2333 Jahre alt, die ausgestellte Scheibe hat einen Durchmesser von etwa vier Metern. Ein Museumsbesucher erinnert sich: „Bei meinem ersten Besuch im Übersee-Museum war ich beeindruckt vom Querschnitt des Baumes. Ich war fünf Jahre alt und die Aufsicht sagte, wenn ich den Baum heraustragen könnte, dürfte ich ihn behalten. Bis heute versuche ich jedes Mal, wenn ich hier bin, den Baum anzuheben.“ Ein anderes beliebtes Exponat aus vergangenen Tagen hat Dank des „Liebste Stücke“-Raumes seinen Weg zurück in die Ausstellung gefunden: Das Iguanodon-Skelett. Erwachsene, die dieses bereits als Kind bewundert haben, berichten, dass sie sich freuen, den Dino nun ihren eigenen Kindern zeigen zu können. Es ist bereits der zweite Abguss, den das Museum hat anfertigen lassen. Der erste war aus Gips und kam 1911 ins Museum. „Damals gab es einen richtigen Dino-Hype in Nordamerika, und auch hier wollte man den Menschen einen Dino zeigen“, erklärt Museumsmitarbeiterin Michaela Grein. Der erste Abguss des Iguanodon-Skeletts wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt.
1993 wurde ein neuer Abguss aus Kunststoff gemacht, der bis 2014 in der Ausstellung „Evolution“ zu sehen war. Eine interessante Anekdote: Sowohl das erste als auch das zweite Skelett wurde und wird nicht ganz richtig präsentiert. „Der erste Dino stand aufrecht im Museum, wie ein Känguru“, sagt Grein. „Heute weiß man, dass das anatomisch falsch ist.“
Der zweite Abguss des Iguanodons wurde in gebückter Haltung präsentiert und wird es bis heute. Doch auch dies sei nicht ganz korrekt, sagt die Expertin, könne aber nachträglich nicht mehr angepasst werden. Eine Silhouette hinter dem Skelett zeigt die Realität: Iguanodons sind in Wirklichkeit vierfüßig gelaufen.
Schmerzlich vermisst wurde von vielen Besuchern auch das Südsee-Haus aus Toboroi. Rund 17 Jahre lang war es aus dem Museum verschwunden, und das hatte auch seinen Grund: „Das Haus wurde stets stark inszeniert präsentiert und hat mit den dazu ausgestellten Figuren auch viele Stereotypen weiter transportiert“, sagt Stephanie Walda-Mandel vom Übersee-Museum. Jetzt steht es zwar wieder im Museum, allerdings ganz für sich – ohne klischeebehaftete Menschenfiguren, Sand und Pflanzen. Tafeln informieren die Besucher über frühere Präsentationsformen und klären darüber auf, warum man es heute anders macht.
Das Haus wurde 1909 im Auftrag des wissenschaftlichen Museumsmitarbeiters Ludwig Cohn extra fürs Museum gebaut – aus Angst, dass es nicht in die Räumlichkeiten passt, aber weitaus kleiner als seine originalen Vorbilder. Auch darauf werden die Besucher heute hingewiesen, damit sie das Objekt besser einordnen können. „Ein Besuch im Museum war zu meiner Kindheit wie ein Blick in eine andere Welt: Ich hatte damals noch nicht viel gesehen, und meine weiteste Reise war zu Oma und Opa nach Cloppenburg“, erinnert sich ein Besucher. „Das Museum kam mir riesig vor (...), überall standen Palmen und exotische Gewächse, und dazwischen Hütten aus der Südsee (...). Ich hätte stundenlang einfach nur schauen können.“ Genau deswegen sei das Südseehaus bis heute für viele Besucher so faszinierend, sagt Walda-Mandel. „Es kreiert eine kleine Welt, in die die Menschen eintauchen können und macht neugierig auf fremde Lebenswelten.“
Ob die Erinnerungen an und die Geschichten von mittlerweile verschwundenen Objekten, die die Menschen auf die Postkarten schreiben, Einfluss auf kommende Ausstellungen haben werden? „Selbstverständlich werden wir das bei weiteren Planungen in unsere Überlegungen einbeziehen und sehen, ob sich ein solches Objekt sinnvoll in eine Neukonzeption integrieren lässt“, sagt Museumsdirektorin Wiebke Ahrndt. Nur lebende Alligatoren, die wird es im Übersee-Museum mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr geben.
Wer gerne seine persönlichen Erinnerungen mit dem Museum teilen möchte, ist dazu eingeladen, eine E-Mail an erinnerungen@uebersee-museum.de zu senden.
Mit diesem Teil endet unsere Serie „Ein Blick zurück“. Die „Spurensuche“-Ausstellung ist dauerhaft im Übersee-Museum zu sehen.