
Ein Mann stapft wochenlang durch schroffe Natur, trotzt Eiseskälte und großer Einsamkeit und schreibt ein Buch darüber. Titel: „Stille – Ein Wegweiser“. Was der Norweger Erling Kagge, der 1992 allein die Antarktis durchquerte, getan hat, klingt gefährlich nach Selbsthilfekitsch. Nach einer mit Anekdoten gespickten Abhandlung über die Kraft der Ruhe, nach mäßig brauchbaren Tipps für den stressfreien Alltag.
Tatsächlich ist alles ganz anders. Denn Kagge geht es nicht um die Stille „um einen herum“, sondern um die, „die in einem ist“. In 33 kurzen, philosophisch angehauchten Essays erklärt er, was er damit meint: eine Art gedankliche Tabula Rasa, ein Innehalten im Kopf. „Jeden Augenblick groß genug sein lassen“, so nennt Kagge, was er für wünschenswert hält: die Fähigkeit, Momente bewusst zu erleben, ganz da zu sein.
Stille habe insofern nur begrenzt etwas mit der Abwesenheit von Lärm zu tun; sie könne unter der Dusche zu einem kommen, wenn das warme Wasser über den Kopf rinne, wenn man spazieren gehe, ein Kind im Arm halte, sehr aufmerksam der Natur lausche oder Fußball spiele. Es gehe darum, die „Welt verschwinden“ zu lassen, indem man „in ihr aufgeht“, schreibt Kagge. Darum, „zu erfahren und nicht zu viel zu denken“.
Etwas, das in einer vernetzten Welt, in der ständig etwas blinkt und bimmelt, in der es allzu leicht ist, an mehreren Orten gleichzeitig zu sein, gar nicht so einfach ist. Wer nicht möchte, ist nie mit sich allein, kann seine Gedanken ständig auf etwas außerhalb seiner selbst lenken. Sich nach innen zu wenden, schreibt Kagge, sei ungewohnt, könne sogar Angst machen. Wer weiß, was man findet, wenn man so genau hinsieht.
Kagges Lebenslauf lässt vermuten, warum es ausgerechnet die Stille ist, die ihn beschäftigt. Neben dem Süd-, bereiste er den Nordpol, bestieg den Mount Everest, segelte über den Atlantik und durchquerte die Tunnelsysteme von New York. Die Vita eines Getriebenen, der alles andere als Ruhe zu suchen schien und gerade ihr immer wieder ausgesetzt war.
Ein bisschen dieser Ruhe gibt Kagge mit seinem kleinen, weisen Buch weiter; auf 144 Seiten berichtet er in einfacher, einnehmender Sprache von eigenen Erfahrungen, zitiert Philosophen, beleuchtet die Rolle der Stille in verschiedenen Religionen, zieht wissenschaftliche Betrachtungen heran. Ein Buch, das dazu einlädt, öfter mal abzuschalten. Das Handy und den Kopf.
Erling Kagge: Stille. Aus dem Norwegischen von Ulrich Sonnenberg. Suhrkamp, Berlin. 144 Seiten, 14 €.