
Bremen. Die bedeutsamste literarische Auszeichnung hierzulande geht in diesem Jahr an einen Schweizer: Lukas Bärfuss ist am Dienstag der mit 50 000 Euro dotierte Georg-Büchner-Preis zuerkannt worden. Das teilte die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt mit. Dort wird der Romancier und Dramatiker am 2. November geehrt.
Bärfuss, 1971 in Thun (Kanton Bern) geboren, ist eine ausnehmend gute Wahl. Zum einen, weil er sich in seiner klaren, kargen und oftmals unterkühlt anmutenden Prosa stilistisch bravourös an dezidiert zeitgenössischen Themen abarbeitet, darunter am Völkermord in Ruanda („Hundert Tage“, 2008) und an menschlichen, allzu menschlichen Obsessionen im Turbokapitalismus („Hagard“, 2017; im Jahr darauf mit dem Preis der LiteraTour Nord bedacht). Zum anderen, weil seine Kür eine weitere Öffnung des renommierten Büchner-Preises signalisiert, was Gattungsvielfalt anbelangt: Nachdem die Akademie mit Marcel Beyer (2016) und Jan Wagner (2017) in jüngerer Zeit gleich zwei Schriftsteller belobigt hat, die vornehmlich mit lyrischen Texten in Erscheinung getreten sind, steht Bärfuss fraglos für das dramatische Fach ein.
Seine literarischen Anfänge, die sich Ende der 90er-Jahre zutrugen, waren zunächst ausnahmslos der Bühne zugeeignet. Zu seinen meistgespielten Stücken zählen die drastische Enthemmungsfarce „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ (2003), der weltpolitisch engagierte Theatertext „Öl“ (2009) und die ebenso groteske wie grandiose Helmut-Kohl-Parabel „Der Elefantengeist“ (2018).
„Formalen Variationsreichtum“ attestiert die Darmstädter Jury dem Preisträger, überdies eine immens ausdrucksstarke Sprache, in der sich „nervöses politisches Krisenbewusstsein und die Fähigkeit zur Gesellschaftsanalyse am exemplarischen Einzelfall, psychologische Sensibilität und der Wille zur Wahrhaftigkeit" wechselseitig durchdringen würden. Seinem Faible für bildhafte Formulierungen blieb Lukas Bärfuss übrigens auch am Tag der Triumphverkündigung treu: Mit den Worten "Das ist der Engelskuss, der einen da trifft" kommentierte er die Nachricht von seiner überraschenden Auszeichnung zugleich lakonisch und expressiv.
Erschienen sind seine Prosawerke und Essays mehrheitlich in einem norddeutschen Verlag, für den sich besagter Engelskuss gleichfalls in klingender Münze auszahlen dürfte: Wallstein (Göttingen) veröffentlichte unter anderem Lukas Bärfuss‘ Roman „Koala“, einen spannenden wie anrührenden Versuch, den Freitod seines Bruders durch einschlägige kulturgeschichtliche Überschreibungen und Variationen zu verarbeiten. Eingedenk dieses faszinierenden Projekts wie auch angesichts seiner Bereicherung der deutschsprachigen Bühnentextlandschaft kann man von Glück sagen, dass Bärfuss nach überschaubaren Zeiten als Tabakbauer, Eisenleger, Gärtner, Buchhändler und Dramaturg das Risiko eingegangen ist, seine Liebe zur Literatur vorwiegend fabulierend auszuleben. Eine dichterische Einbildungskraft wie jene, die ihm zu Gebote steht, wäre in einem schnöden Brotberuf womöglich irreversibel verdorrt.
Dabei galt dem Autor das unweigerliche Berufsrisiko, sich als freier Schriftsteller zu verdingen, zu Beginn seiner Laufbahn sogar als willkommenes Wagnis, ja als Stimulans: „Ich war Anfang, Mitte 20, und hatte keine Perspektive in meinem Leben und habe mir ein Abenteuer gesucht für das Leben“, gibt Bärfuss zu Protokoll. „Und Schreiben schien mir einfach eines der möglichen Abenteuer, wie man sein Leben verbringen kann.“
Ohnehin charakterisiert sich der Vater dreier Kinder, der samt Lebensgefährtin in Zürich lebt, als rastlosen Geist, dem Stoffe mehr zustießen, als dass er sie aktiv suchen würde – und der erst im Schreibprozess ein inniges Verhältnis mit dem jeweiligen Sujet eingeht. „Ich habe nie ein Buch fertig geschrieben“, sagt er, „man hat es mir immer entrissen“.