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98 ist eine böse Zahl. 198 auch, genau wie die Acht und die Neun. Und die 17 – denn die ja schließlich das Ergebnis aus acht plus neun. Wenn man mit diesen Zahlen in Berührung kommt, passiert etwas ganz Schlimmes. Davon ist die zwölfjährige Jessica überzeugt. Das weiß sie einfach, tief in ihrem Inneren. Ist es doch einmal passiert, muss sie schnell 100 Mal ihre Socken hoch- und runterziehen, um die schlimmen Folgen zu verhindern.
Und Jessica hat noch viel mehr Ticks, die ihr das Leben erschweren. Für sie sind diese Zwänge verzweifelte Erklärungen. Dafür, dass ihre Mutter bei einem Unfall starb, und dafür, dass ihre große Schwester Sabrina an einer unheilbaren Lungenerkrankung leidet. Logischer Gedankengang einer Zwölfjährigen: Wenn sie nur alles richtig macht, dann wird niemandem etwas passieren.
Um Jessica (Ella Frey) und das schwere Schicksal ihrer Familie dreht sich der Film „Glück ist was für Weicheier“. Ihr Vater Stefan (Martin Wuttke) ist Bademeister im örtlichen Hallenbad und arbeitet nebenbei ehrenamtlich als Sterbebegleiter, liest todkranken Menschen im Krankenhaus Bücher vor, die ihnen den Abschied leichter machen sollen. Aber irgendwie hilft das weder ihm selbst noch den Patienten.
Jessica wird in der Schule gehänselt, immer wieder wird sie aufgrund ihrer kurzen Haare und Latzhosen-Outfits auch für einen Jungen gehalten, andere Kinder nennen sie „Neutrum“. Doch die Sorge um ihre Schwester macht all das zur Nebensache. Um ihr den Alltag im Krankenbett ein wenig zu versüßen, leiht Jessica ihr regelmäßig Filme und Bücher aus der Bibliothek aus – Bücher, die eigentlich eher ihrem eigenen Interesse entsprechen als denen von Sabrina. Doch als sie ihr eines Nachmittags aus „Rituale der Schadensabwehr“ vorliest, stoßen die beiden auf ein interessantes Kapitel: Angeblich soll es möglich sein, schlimme Krankheiten durch Beischlaf auf eine andere Person zu übertragen. Einen Versuch ist es wert. Und so fragt Jessica ein bisschen rum, wer denn Lust hätte, mit ihrer Schwester zu schlafen.
Der Film macht viele Sachen, die ein guter Film eigentlich nicht machen sollte. Der rote Faden reißt immer mal wieder ein und ist geprägt von Abzweigungen und Irrwegen. Viele Stränge werden nur angerissen, dann geht es wieder mit einem anderen weiter. Manchmal ist man als Zuschauer nicht ganz sicher, was gerade tatsächlich und was nur in Jessicas Fantasie passiert. Trotz allem – oder vielleicht auch gerade deshalb – funktioniert „Glück ist was für Weicheier“ ganz wunderbar. All die kleinen Nebenplots, die mit der Geschichte selbst im Grunde gar nichts zu tun haben, machen sie erst richtig liebenswert. Das ist vor allem auch der Verdienst von Martin Wuttke und Ella Frey, die ausdrucksstark und authentisch das verzweifelte Vater-Tochter-Gespann verkörpern, das sich trotz aller Schicksalsschläge sein Lächeln bewahrt.
Der Film drückt nicht auf die Tränendrüse, nimmt die Frage nach dem richtigen Umgang mit dem Tod aber dennoch ernst. Die deutsch-rumänische Regisseurin Anca Miruna Lăzărescu findet den idealen Mittelweg, gibt der Trauer Raum, aber auch dem Glück. Herausgekommen ist ein tragikomisches Coming-of-age-Drama, das irgendwie etwas Tröstliches hat, auch wenn es Dinge im Leben gibt, die man leider nicht verhindern kann. Auch nicht, wenn man von allen bösen Zahlen dieser Welt die Finger lässt.
„Glück ist was für Weicheier“ im Cinema Ostertor: 9.2., 19 Uhr; 10.2., 18 Uhr; 11.2, 19 Uhr: 12.2., 17 Uhr und 13.2. um 16.45 Uhr.
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