
Es ist eine rare wie glückliche Fügung, wenn sich ein Paar ein Forscherleben lang an ähnlichen Themen abarbeitet. Bei Aleida Assmann (71) und Jan Assmann (79) ist das der Fall: Die Anglistin und der Ägyptologe haben sich weit über die deutschen Grenzen hinaus mit Untersuchungen zur Erinnerungskultur einen Namen gemacht. Am Dienstag wurde ihnen der Friedenspreis des deutschen Buchhandels zugesprochen.
Die Zuerkennung der Auszeichnung ist auch politisch von Belang. Im Fokus ihrer Studien stehen zum einen Ausformungen der nationalen Memoria. Zum anderen liegt ein Schwerpunkt ihrer Analysen im Gegenspieler des Gedächtnisses, dem Vergessen: Aleida Assmanns 2012 veröffentlichtes Buch "Die Zukunft der Erinnerung und der Holocaust" sucht nach Möglichkeiten, des Zivilisationsbruchs Shoah eingedenk zu bleiben.
Nicht von ungefähr hat sich das Ehepaar Assmann nach dem sogenannten Historikerstreit (1986), der die Frage der Einzigartigkeit des Genozids an den Juden stellte, stark für den Bau des Holocaust-Mahnmals in Berlin eingesetzt. Insofern ist der Friedenspreis für das Paar auch ein Plädoyer des Stiftungsrats gegen Geschichtsvergessenheit. Nach Ansicht des Stiftungsrats haben die in Konstanz lebenden Eheleute, die fünf Kinder haben, ein zweistimmiges Werk geschaffen, "das für die zeitgenössischen Debatten und im Besonderen für ein friedliches Zusammenleben auf der Welt von großer Bedeutung ist".
Aleida Assmann, die den Autor dieses Textes als Doktormutter förderte und forderte, war 1993 einem Ruf auf den Lehrstuhl für Anglistik und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz gefolgt. Ihrem Engagement verdankten nicht nur die Stipendiaten des Graduiertenkollegs "Theorie der Literatur und Kommunikation" etliche Anregungen. Ihre einschlägigen Arbeiten, darunter "Erinnerungsräume.
Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses" (1999) und "Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik" (2006) avancierten zu Standardwerken. Die Anglistin profitierte von einem Popularitätsschub ihres Themas in den 90er-Jahren: Im Zuge einer poststrukturalistischen Memoria-Euphorie war es unter Literaturwissenschaftlern üblich geworden, jedes von einem Dichter gestreute Zitat als Gedächtnishandlung zu begreifen, jede von ihm unterschlagene Bezugnahme als Strategie des Vergessenmachens.
Jan Assmann, dessen Königsdisziplin, die Ägyptologie gern als "Orchideenfach" geschmäht wird, bezieht sein Faible für Modalitäten des Erinnerns und Vergessens aus Studien über den monumentalen Totenkult der alten Ägypter. Pate dafür stehen Werke wie "Das kulturelle Gedächtnis: Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen" (2007).
Assmann, bis zu seiner Emeritierung 2003 Professor an der Universität Heidelberg, sorgte mit religionswissenschaftlichen Arbeiten für Furore, die Thesen zum Monotheismus beinhalten. Dessen Anfänge verortet er im Auszug der Israeliten unter Moses aus Ägypten. Durch diese Zäsur sei in der Religion die Unterscheidung von "wahr" und "falsch" in die Welt gekommen – mit verheerenden Spätfolgen im Christentum und im Islam.
Durch die Problematisierung des Zusammenhangs von (monotheistischer) Religion und Gewalt zettelte Assmann eine veritable Debatte an. Zugleich betonte er, dass er Monotheismus nicht verdamme, sondern gegen religiös-dogmatischen Fundamentalismus sei.
"Menschenrechte und Menschenpflichten" heißt Aleida Assmanns jüngstes Buch. Darin appelliert sie angesichts der Flüchtlingsdebatte für einen neuen Gesellschaftsvertrag, der Menschenrechte, Werte wie Solidarität sowie das respektvolle Miteinander regeln soll. So aktuell – und so brisant – denken Erinnerungsexperten.
Friedenspreis: die Preisträger der vergangenen Jahre
Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird seit 1950 vergeben. Die Preisträger im Überblick.
2018 Aleida und Jan Assmann (deutsche Kulturwissenschaftler)
2017 Margaret Atwood (kanadische Schriftstellerin)
2016 Carolin Emcke (deutsche Publizistin)
2015 Navid Kermani (deutscher Schriftsteller und Orientalist)
2014 Jaron Lanier (US-Digitalpionier und Schriftsteller)
2013 Swetlana Alexijewitsch (weißrussische Schriftstellerin)
2012 Liao Yiwu (chinesischer Schriftsteller)
2011 Boualem Sansal (algerischer Schriftsteller)
2010 David Grossman (israelischer Schriftsteller)
2009 Claudio Magris (italienischer Schriftsteller)
2008 Anselm Kiefer (deutscher Maler und Bildhauer)