
Satire – was sonst sollte Kinogängern zu Szenen wie diesen einfallen: Der suspendierte Lehrer Ecki (Bernhard Schütz) randaliert in einem Supermarkt, weil der nicht die gewünschte Kesselchips-Geschmacksrichtung im Sortiment hat – und überdies keine sogenannten Wurst-Abschnitte mehr führt.
Hobby-Imker Robert (Rainer Bock) lässt sich von Malerin Janine (Katja Bürkle) porträtieren – und reagiert seine Familienfrustrationen in einem von Ecki betriebenen Wut-Raum ab. Ein narzisstischer Polizist (Jan Henrik Stahlberg) will die Angststörung einer Kollegin (Friederike Kempter) mit dem Beelzebub austreiben.
Faible für abstruse Szenarien und nacktes Fleisch
Die frühreife Swentja (Lilly Wiedemann) muss sich entscheiden zwischen dem sexistischen Muslim Mahmud (Hussein Eliraqui) und dem tiefreligiösen Katholiken Johannes (Aaron Hilmer). (Beliebig fortführbar.)
Willkommen in der wundersamen Figurenwelt des Erzählers und Erotomanen Helmut Krausser („Eros“, „Der große Bagarozy“), dessen episodischen Roman „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ (2012) Lars Montag mit einem Faible für abstruse Szenarien und nacktes Fleisch verfilmt hat. Dass die einzige halbwegs realitätsnahe Romanfigur aus dem von Krausser und Montag gemeinsam verfassten Skript verschwunden ist: geschenkt.
Dass die urbanen Settings des in Halle und Leipzig gedrehten Films von cooler Oberflächlichkeit sind: so gewollt. Dass der auf schräge Beziehungen und schrille Protagonisten setzende Film idealerweise „Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit“ geheißen hätte: leider ein schon vergebener Titel. Ohnehin ist die Pointendichte hoch.
Urbanes Pandämonium
Montag, der am Sonntag, 7. Mai, mit den Darstellern Rainer Bock und Jan Henrik Stahlberg bei der 20.30-Uhr-Vorstellung in der Schauburg zugegen ist, nimmt eine Dreiteilung des Stoffes vor, die den Titelwörtern folgt. Jeweils zu Beginn eines Abschnitts raunt eine Stimme vermeintlich einführende Worte, die nach einem halben Satz von polyphonem Gebrabbel verschluckt werden.
Was die Künstler sagen wollen: Folgerichtigkeit und Sinnhaftigkeit sind nachgeordnete Kriterien in einem urbanen Pandämonium, in dem früher oder später ohnedies alles mit allem verbunden ist. Tatsächlich schürzen sich zur Halbzeit des zweistündigen Satyrspiels alle Erzählstränge zur Synthese.
Das bedient fraglos das Begehren der Zuschauer nach Komplettierung, lässt aber kaum Raum für Plot-Überraschungen, geschweige denn eine differenzierte Figurenzeichnung. Doch der Umstand, dass hier nur Karikaturen zu besichtigen sind, ist nicht als Einwand gegen ein kalkuliertes Spektakel zu verstehen, das hinter der Groteske die bemitleidenswerte Verlorenheit der Städtebewohner sichtbar machen will.
Episoden aus dem beschädigten Leben
In dieser Hinsicht sind es sozusagen Episoden aus dem beschädigten Leben, mithin moralische Miniaturen, die Montag und Krausser zeigen. Dazu passt, dass der Film passagenweise an Ulrich Seidls „Hundstage“ (2001) erinnert, ein Werk, das gleichfalls episodisch einer verzweifelt-lächerlichen Sinnsuche nachspürt.
Dazu wiederum passt, dass mit Maria Hofstätter eine Schauspielerin an beiden Produktionen mitgewirkt hat, die das nackte Elend erlebnishungriger Zeitgenossen besonders prägnant vorführt. „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ empfiehlt sich nicht für alle Altersgruppen und Milieus.
Und doch sind der anarchische Witz und die subversive Lifestyle-Kritik dieses Films im deutschen Kino der Gegenwart viel zu selten anzutreffen, als dass man aus geschmäcklerischen Erwägungen von diesem Kleinod abraten sollte. Dass das Werk beim Deutschen Filmpreis trotz einiger Nominierungen übergangen wurde, spricht nicht gegen diese Lesart. Viel Spaß in diesem bemerkenswerten Bestiarium.
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