Er war ein gewitzter und engagierter Lehrer. Daran erinnert sich der Autor dieser Zeilen, der Deutsch und Geschichte bei ihm hatte, gut. Damals, Ende der 70er-Jahre am Gerhard-Rohlfs-Gymnasium (GRG) in Bremen-Vegesack, war Egbert Heiß, Jahrgang 1943, ein junger Mann. Von 1965 bis 1971 hatte der Fürther in Erlangen Geschichte, Deutsch und Politologie studiert. Und war dabei in die weltanschauliche Strömung der 1968er-Bewegung geraten. Seine Sozialisation mündete in sein Interesse für Schulreformen und alternative Erziehungsmodelle.
Das progressive Bremen kam ihm gerade recht. Dort konnte sich ab 1970 an einigen Standorten die Gesamtschule als Regelschule durchsetzen, darunter jene an der Lissaer Straße, deren Referendar Heiß wurde. Er verkehrte im akademischen Milieu und gehörte dem 1968 von dem Germanisten und Bildungsreformer Heinz Ide begründeten Aktionskreis demokratischer Lehrer an. 1973 wechselte der Junglehrer, der Ausführungen gern mit dem planvoll irritierenden Satz „Lasst mir das mal erklären“ begann, ans GRG. Klar, dass er dort seinen politischen Steckenpferden treu blieb und Schüler über die Arbeiterbewegung belehrte. Bis hin zur Schülervertretung sei damals „alles mit dem linken Bazillus infiziert gewesen“, sagt Heiß.
Trotz seines hohen Politisierungsgrades wirkte Heiß auf seine Schüler nie doktrinär, weil er es in Fragen zur Meinungsbildung mit der Radikaldemokratin Rosa Luxemburg hielt. Heiß war den Schülern nah, ohne je unbotmäßig zu fraternisieren. Dünkel war ihm fremd. Einem notorisch vorlauten Schüler schrieb er 1980 ins Poesiealbum: „Wenn einer, der mit Mühe kaum geklettert ist auf einen Baum, schon glaubt, dass er ein Vogel wär, so irrt sich der.“
Auch die Mühen der Ebenen kannte Heiß – Gremienarbeit, heilloses Palavern, unbelehrbare Schüler –, und doch blieb er zugewandt und neugierig. So sehr, dass er Ende der 80er-Jahre dem Arbeitsmarkttrend folgte, Lehrer in andere Bereiche abzuordnen. Heiß, gerade Mitte 40, fand die Aussicht spannend, etwas für seine neue Heimat Bremen-Nord zu bewegen, das damals wie heute mit einem randständigen Ruf zu kämpfen hatte, der nicht nur die geografische Lage betraf. Als Kulturreferent für Bremen-Nord – eine Stelle, die beim Senator für Wissenschaft, Kunst und Bildung, Horst Werner Franke, angesiedelt war – wollte er die Gegend nördlich der Lesum vom Stiefkind-Ruch befreien. Elf Jahre, von 1989 bis 1999, leistete er Hilfe zur Selbsthilfe, baute auf, vernetzte, moderierte, warb Gelder ein, kämpfte um Etats und ABM-Kräfte. Sein Engagement fruchtete. Ohnedies sei spätestens im Jahr des Mauerfalls im Bremer Norden „eine Art Kulturrevolution ausgebrochen“. Vielerorts hatten sich als Antwort auf den Kulturnotstand Initiativen gegründet, darunter das Vegesacker Statt-Theater, das bis heute besteht. Ein „richtiges Kontrastprogramm“ zum Schulalltag sei das gewesen, sagt Heiß – und man merkt ihm an, dass ihn die Exkursion ins Berufsleben eines Kulturmanagers ebenso beansprucht wie bereichert hat.
Als er 1996, zunächst nur mit einer halben Stelle, auf Raten in den Schuldienst zurückkehrte, genoss er die Arbeit mit den Schülern nach der Abstinenz sehr. Als „aufgefrischter Lehrer“ sei er wieder ans GRG gekommen, wo er, 1999 wieder mit einer vollen Stelle ausgestattet, bis zur Pensionierung im Jahr 2007 blieb. Von einem „gelungenen Arbeitsleben“ spricht der 74-Jährige heute.
Einigen kulturell rührigen Initiativen in Bremen-Nord ist Heiß als Ratgeber erhalten geblieben. Zudem nahm und nimmt er sich die Zeit, Ausstellungen zur Stadtteilkultur zu kuratieren und Texte über Themen zu schreiben, an denen ihm liegt. So vor drei Jahren, als er einen Reader herausgab, der unter dem Leitwort „Unsere Schulzeit – Ein Lesebuch“ Zeitzeugenberichte von Nordbremern aus den 40er- und 50er-Jahren versammelte. Heiß, darin ganz progressiver Historiker, versteht sich als Bewahrer und Mehrer des kulturellen Gedächtnisses, für den zumal die Schnittstellen von individueller und kollektiver Erinnerung von Bedeutung sind.
Dieser Tage erscheint sein nächster Streich. Heiß hat – als Rechercheur, Kommentator und Herausgeber in Personalunion – einen Band komponiert, der unter dem Titel „Schulen in Bremen-Nord: Keimzellen der Unruhen ’68 der Schülerbewegung nachspürt, genauer: jenen sozialpolitischen Umtrieben, die es zwischen 1965 und 1975 in Vegesack und Lesum gab. Herzstücke des Bandes sind Reminiszenzen an die GRG-Schülerzeitschrift „Das Echo“. Bereits 1998 hatte Heiß eine Erinnerung an das Periodikum veröffentlicht, die als Vorstudie zu seinem jüngsten Reader gelten darf: ‚Das Echo‘ – Zeitzeugenberichte zu 30 Jahren ’68 in Bremen-Nord“ entstand in Kooperation mit „Die Norddeutsche“, der Vegesacker Redaktion des WESER-KURIER. Auch der Satiriker Jan Böhmermann, damals Praktikant des Blattes, setzte sich für den „Echo“-Reprint, der als Sonderausgabe ein Kulturfestival begleitete, mit der Jugendkultur jener Jahre auseinander.
„Es ging schon munter zu“, sagt Egbert Heiß über Passagen seiner Anthologie, die unter anderem vom Theater in der Ära Kurt Hübner, von Aspekten der Kriegsdienstverweigerung, den legendären Straßenbahnunruhen und den Schulreformen im kleinsten Bundesland handelt. Viele Anregungen verdanke er Detlef Michelers Standardwerk „Draufhauen, Draufhauen, Nachsetzen“ über die Bremer Schülerbewegung. Andere Impulse empfing er von früheren Kollegen, darunter der Lehrer und Künstler Hajo Antpöhler (1930–2011), in dessen privatem Nachlass er auf zwei Kisten mit Zeitzeugnissen stieß, die dem Projekt dienlich waren.
Angesichts der Materialfülle und deren umsichtiger Aufbereitung verwundert es nicht, dass Heiß‘ polyphon gestaltete Bilanz der Jahre 1968 ff. auch jenseits des Bandes zu Ehren kommen wird. Frauke Hellwig, Leiterin des Schulmuseums Bremen, rief ihn an, um sich seiner Beteiligung an einem Ausstellungsprojekt zu versichern, dessen Früchte im Juni in der Unteren Rathaushalle zu besichtigen sind: „Trau keinem über 30!“, entstanden in Kooperation mit Schulklassen, widmet sich dem anschlussfähigen Themenkomplex „Jugendrevolte und Reform 1960 bis 1975“.
Heiß, dessen Werk die Vegesacker Buchhandlung Otto und Sohn vertreibt, kann stolz darauf sein, dass ihm das Engagement, mit dem er als Lehrer reüssierte, jetzt bei der Rekonstruktion eines politischen Kapitels deutscher Geschichte dienlich ist. Mit seinem Projekt, so scheint es, ist dieser verdiente Mann gleichsam bei sich selbst angekommen.
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