
Kurzfristige Absagen sind immer misslich; wenn es um Uraufführungen geht, sind sie meistens fatal. Doch Sun hatte sich den schwierigen Part für Singstimme in „Mnemosyne“, dem am Freitag erstmals gespielten Werk des Hamburger Komponisten und Dirigenten Peter Ruzicka, in kürzester Zeit und dann auch noch meisterhaft erarbeitet. Das Publikum feierte sie dafür.
„Mnemosyne. Erinnerung und Vergessen für Sopran, 18 Streicher und Schlagzeug“ heißt das achtteilige Werk Ruzickas, das auf eine Hymne Friedrich Hölderlins rekurriert, und um das das Konzert der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen herumgebaut war. Ruzicka stand selbst am Pult und bescherte dem Publikum gemeinsam mit den grandios und hoch konzentriert spielenden Kammerphilharmonikern ein intensives wie forderndes Erlebnis. Ruzicka lotete einmal mehr aus, welche expressiven Fähigkeiten Musik an sich hat oder: haben kann. Er stellt Fragen, gibt nie Antworten. Immer wieder ließ er die Violinen extrem hohe, irrlichternde, manchmal kaum noch hörbare Motive spielen, die flächig aneinander anknüpfen, aber nicht aufgelöst werden und denen Viola und Cello sowie Schlagwerk harsches Stückwerk entgegenschleudern. Nie ist das Lautmalerei, was bei dem kryptischen Hölderlintext sowieso ins Leere laufen würde. Sarah Maria Sun sang und sprach ihn als melodisch eigenständigen Zusatz, beeindruckend sattelfest bis in die schwindelnden Höhen, in den Vokalisen auch mal sirrend.
Diesem so reichhaltigen wie kontemplativen Stück waren zwei Werke zugesellt, die Ruzicka als Dirigent ebenfalls auf ihre Sprachfähigkeit abklopfte und ihnen famos Lyrisches entlockte – ganz dem Motto des Konzerts entsprechend: „Entdeckerfreuden“. Der Abend begann mit der Fantasie f-Moll von Franz Schubert in der Orchesterfassung von Rolf Liebermann, begann mit federnder Leichtigkeit und endete in unfassbar traurigem Verlöschen. Bei den harmonischen und dynamischen Kapricen dazwischen vertraute Ruzicka zurecht den starken solistischen Fähigkeiten der Kammerphilharmoniker (sehr elegant: Ulrich König an der Oboe und Bettina Wild an der Flöte).
Nach der Pause gab es Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 4 G-Dur, von Erwin Stein eingerichtet für Kammerensemble und Singstimme. Weil auch Ruzickas „Mnemosyne“ an einigen Stellen mahlereske Elemente aufweist, war dies fast schon eine logische Wahl. Ruzicka ließ die Streicher á la Kaffeehausmusik aufspielen, um die Chance zu nutzen, diese Stimmung durch Bläser-Soli und harsche Akzentsetzungen zu untergraben. Eine schmalere Besetzung der Stimmen ließ die Struktur der Sinfonie dabei klarer erscheinen: Zu hören war ein Wiener Märchen, in dem die Heiterkeit vorgeblich ist und stets durch das Grauen gestört werden kann.