
Verrückt? Was heißt das eigentlich? Mit dieser Frage konfrontiert das Bremer Krankenhaus-Museum seine Besucher. Achim Tischer, Leiter des Museums und der Kulturambulanz, hat auch eine Antwort darauf: „Verrückt ist das, was man für verrückt hält“, sagt er. Und was das ist, habe sich im Laufe der Zeit stark verändert und tue es bis heute. „Krankheit ist ein dynamischer Begriff, der von der Kultur und der Gesellschaft geprägt wird.“
Genau das zeigt auch das Bremer Krankenhaus-Museum auf dem grünen Gelände des Klinikums Bremen-Ost seit nunmehr 30 Jahren – ein Jubiläum, das Ende dieser Woche gefeiert werden soll. Entstanden ist das Museum 1989 aus dem Öffnungsgedanken der Psychiatrie. Das heute denkmalgeschützte Gebäude, in dem sich das Museum befindet, wurde einst als Hofmeierwohnung und Kuhstall auf dem Gelände des 1904 eröffneten „St. Jürgen-Asyls für Geistes- und Nervenkranke“ genutzt. Später fanden in dem Komplex Beschäftigungstherapien für Patienten statt. Mittlerweile hat sich auf über 450 Quadratmetern eine abwechslungsreiche Kunst- und Kulturvermittlung ausgebreitet. Ihr Ziel: die Entstigmatisierung der Einrichtung Psychiatrie und von psychischen Krankheiten im Allgemeinen.
Das Krankenhaus-Museum bildet zusammen mit seiner Galerie und dem Veranstaltungszentrum Haus im Park die Kulturambulanz der Gesundheit Nord, die sich als Lern-, Gedenk- und Kulturort versteht. Kerngedanke der Einrichtung ist die Vernetzung der Themen Gesundheit, Bildung und Kultur, sie will Bürger, Kulturschaffende und Wissenschaftler zusammenbringen und einen Austausch über Fachgrenzen hinweg ermöglichen. Das Konzept der Kulturambulanz ist in seiner Form einmalig in Deutschland.
Und es ist ein Konzept, das aufgeht: Etwa 300.000 Besucher haben das Angebot des Krankenhaus-Museums im Laufe der drei Jahrzehnte seit der Gründung genutzt, berichtet Achim Tischer. Im unteren Bereich des Museumsgebäudes befindet sich die Galerie im Park, in der Wechselausstellungen mit historischer und zeitgenössischer Kunst stattfinden. Mehr als 70 Präsentationen hat es laut Achim Tischer mittlerweile schon gegeben. Sie alle behandelten in irgendeiner Weise die Begriffe Krankheit und Gesundheit – auch große Namen wie Joseph Beuys waren hier bereits vertreten. Noch bis Februar ist in der Galerie die Schau „Madness“ zu sehen, die Bilder internationaler Künstler zum Thema Wahnsinn zeigt.
Im oberen Bereich des Hauses ist das Krankenhaus-Museum mit seiner Dauerausstellung untergebracht. Hier werden dem Besucher mithilfe von Text- und Bildtafeln sowie Ausstellungsstücken aus dem einstigen Klinikalltag rund 200 Jahre Bremer Psychiatriegeschichte nähergebracht. Seit einigen Jahren verfügt das Museum auch über Hörstationen und digitale Infoterminals. Hier beantwortet zum Beispiel eine Therapeutin die Frage, woran sie erkennt, dass jemand Hilfe braucht. An anderen Stellen erzählt ein ehemaliger Patient von seinen Wahnvorstellungen, oder es berichtet die Mutter eines Betroffenen.
Mithilfe einzelner Biografien wird regulären Besuchern, aber auch Schulklassen zudem ein sehr dunkles Kapitel der Psychiatriegeschichte näher gebracht. Im Labor für inklusive Projektarbeit lernen Kinder unter anderem Gertraude Küchelmann kennen. Sie wurde nur drei Jahre alt. Von Geburt an litt sie an einer Bewegungsstörung, wurde von Krämpfen gequält. Doch das war nicht der Grund für ihren Tod. Genauso wenig war es eine Lungenentzündung, so wie man es ihrer Familie später mitteilte. Die kleine Gertraude wurde ermordet, in einer „Kinderfachabteilung“ – wie die Nationalsozialisten beschönigend Psychiatrieeinrichtungen bezeichneten, in der sie Kinder und Jugendliche mit körperlicher oder geistiger Behinderung erforschten und umbrachten. Zwischen 1938 und 1944 wurden auch viele Erwachsene aus psychiatrischen Einrichtungen von den Nationalsozialisten ermordet. Diesem schrecklichen Kapitel widmet das Museum einen großen Ausstellungsbereich.
Die Sammlung des Museums umfasst etwa 18.000 Objekte, darunter Bücher, Zeitschriften, Fotografien, Einrichtungsgegenstände, medizinische Geräte und vieles mehr. Ein Großteil davon wird in einem ausgelagerten Depot aufbewahrt. Hinzu kommt ein Archiv mit rund 65.000 Krankenakten aus den Jahrgängen 1851 bis 1969, die auch für Forschungszwecke genutzt werden. Außerdem verfügt das Museum über Film- und Tondokumente, in denen Patienten, Angehörige, Personal und weitere Zeitzeugen zu Wort kommen.
Die Kulturambulanz bietet neben dem Labor zahlreiche weitere Projekte für Kinder- und Jugendgruppen an. Eines davon ist das Anti-Stigma-Projekt „Es ist normal, verschieden zu sein“, in dem Schüler unter anderem Klinikeinrichtungen besuchen und mit Menschen mit Sucht- und Psychiatrieerfahrung, ihren Angehörigen und Therapeuten ins Gespräch kommen. „Unsere Gesellschaft hat im sozialen Bereich teils erhebliche Probleme“, sagt Tischer. „Aber wenn ein Patient zum Beispiel offen seine eigene Drogengeschichte erzählt, dann kommt das bei den Jugendlichen an. Dann wirkt das nach.“ Somit sei es auch kulturell präventive Arbeit, die die Kulturambulanz als außerschulischer Lernort mit ihrem Angebot leistet.
Trotz Aufklärungsarbeit sei es noch ein weiter Weg, bis in der Gesellschaft alle Vorurteile gegenüber psychischen Leiden abgebaut seien. „Psychische Erkrankungen können jeden treffen, werden aber noch immer als Makel gesehen“, erklärt Tischer das Problem. Zwar sei in einigen Bereichen viel in Bewegung, man könne zum Beispiel über Depressionen offener sprechen als noch vor einigen Jahren. Andere Bereiche, wie die Schizophrenie, seien bis heute weitaus belasteter.
Vor Kurzem hat sich das Krankenhaus-Museum um das Gütesiegel des Museumsverbandes Bremen-Niedersachsen beworben. Das Siegel würde Vorteile im Verleihgeschäft und bei der Geldakquise verschaffen und allgemein für noch mehr Strahlkraft sorgen. Ob die Bewerbung erfolgreich war, wird voraussichtlich im Frühjahr bekannt gegeben, so Tischer. Vielleicht gibt es dann erneut Grund zu feiern. Bis dahin freut man sich aber erst einmal über all das, was das Krankenhaus-Museum schon heute zu bieten hat. Und das ist vor allem eines: Kulturelle Erste Hilfe für eine Gesellschaft, der diese durchaus nicht schaden kann.
Am Freitag, 6. Dezember, lädt das Krankenhaus-Museum, Züricher Str. 40, ab 18 Uhr zum Geburtstagsempfang. Weiter gehen die Feierlichkeiten am Sonntag, 8. Dezember, mit einem Tag der offenen Tür. Zwischen 11 und 18 Uhr können Besucher an Führungen teilnehmen, einen Blick ins Depot des Museums werfen, Zeitzeugen lauschen und ein Stück des Theaters der Versammlung verfolgen. Genauere Infos unter www.kulturambulanz.de.