
Sein mit Farbe verkrustetes Gesicht schaut in die Kamera: „Gib mir doch bitte deinen Kuss“, singt Drangsal. Dann zeigt die Kamera kurze Sequenzen mit blutigen Innereien, aufgeschnittenen Fischen, Kaviar und auch die weiße Leiste eines Menschen. In seinem Video zum Song „Turmbau Zu Babel“ vermengt der junge, provokante Popkünstler Liebe, Lust und Ekel. Am Sonnabend, 23. März, spielt der 26-jährige Sänger mit dem gegelten Seitenscheitel im Bremer Schlachthof.
Sein bürgerlicher Name ist Max Gruber, aufgewachsen ist er in Herxheim. Die pfälzische Kleinstadt verdankt ihm eine Menge Aufmerksamkeit. Denn Gruber wird nicht müde, sie immer wieder in sein Schaffen einzubinden: Er gab sich nach eigenen Angaben selbst den Namen des dort ansässigen Bestatters „Drangsal“. Sein 2016 erschienenes Debütalbum führt den mittelalterlichen Namen der Stadt: „Harieschaim“.
Zwei Jahre später nannte er sein zweites und jüngstes Album „Zores“, eine pfälzische Bezeichnung für asoziale Menschen. Heute lebt er zwar in Berlin, aber stets in der Nähe seiner Kindheitsfreunde. In Herxheim begann er seine musikalische Karriere. „Schon als Kind habe ich meine Alf-Kassetten überspielt und zur Musik von Marilyn Manson gesungen“, erzählt er. Als Teenager habe er dann mit Freunden im Keller gesessen, Schorle getrunken und Platten gehört.
Als er die britische Indie-Rock-Band „The Smiths“ auf MTV entdeckte, begeisterte er sich für Dark Wave und Post Punk. Einflüsse, die man besonders auf seinem ersten Album deutlich wiederfindet. Doch bei Max Gruber geht es nie nur um die Musik allein, sondern auch um die äußere Erscheinung. „Ich war immer musikbegeistert und hab das auch nach außen getragen“, sagt er und berichtet von Band-Shirts, lackierten Fingernägeln, Irokesenfrisur und grün angesprühten Springerstiefeln, die er als Teenager getragen habe. Äußerlichkeiten, für die er in der Schule gemobbt wurde. „Ich wurde die ganze Zeit beleidigt,“, erzählt er, „aber das ist nichts, was mich irgendwie berührt hätte.“ Man glaubt es ihm. Denn Max Gruber bleibt stets ruhig und bestimmt. Fast einschüchternd furchtlos wirkt er auch in unzähligen Interviews.
Offen und unverblümt spricht er dort über die Verlogenheit der Independent-Musikszene, seine Eltern, seine „richtig doofen Tatoos“ oder seinen „super-beschissenen Musikgeschmack“. In seinem Podcast gemeinsam mit dem Rapper Casper gibt er sogar zu, dass er den Anschaltknopf seiner neuen Playstation 4 nur mit Hilfe von Anleitungen im Internet gefunden hat. „Mir ist nichts peinlich“, sagt er. In der Tat kennt Gruber öffentlich keine Tabus und keine geschönte Selbstdarstellung. Zu seinem Durchbruch als Vorband von Kraftklub im Jahr 2015 bemerkt er nur trocken: „Die Kraftklub-Fans fanden uns scheiße.“
Auch in seinen Songtexten beschönigt der Popkünstler nichts. Stattdessen thematisiert er Gewalt wie in „Magst Du Mich (Oder magst Du bloß noch Dein altes Bild von mir?)“. Das lyrische Ich bricht sich bei einem Sturz alle Zähne und singt danach: „Kann es denn etwas Schöneres geben? Endlich muss ich nicht mehr sprechen.“
Verletzung als Genuss – das klingt nach Sadomasochismus. Auch damit spielt Gruber. Dahinter steckt ihm zufolge viel Wut. Und diese Wut habe eine Wurzel: „Unzufriedenheit schwebt wie ein Damoklesschwert über mir“, sagt er. Deshalb sei er auch auf sein erstes Album nicht besonders stolz. Das zweite sei dagegen schon besser: „Das sind richtige Lieder, die man auf dem Klavier oder der Gitarre spielen kann.“ Doch das reicht dem Sänger nicht. Klar ist: Er wird weitermachen.
Drangsal, Sonnabend, 23. März, 20 Uhr, Kulturzentrum Schlachthof.