
Nostalgische Kindheitserinnerungen sind allen Autoren gemein, die aus Anlass der am Donnerstag in Russland beginnenden Fußballweltmeisterschaft über das Rasenspiel räsonieren. Rainer Moritz, publizistisch umtriebiger Leiter des Literaturhauses Hamburg, treibt diesen Trend freilich in den Exzess: Sein im Atlantik-Verlag erschienenes Brevier "Als der Ball noch rund war" bedient die vergangenheitsselige Haltung auf amüsante Weise.
Das Buch, das den dezent umschweifigen Untertitel "Schreckliche, unangenehme und grandiose Fußballerinnerungen" trägt, hackt sich gewissermaßen ins Gedächtnis der Nation, um die gegen Österreich erlebte "Schmach von Córdoba" (1978), den kaum weniger legendären Fallrückzieher von Klaus Fischer in einem spektakulären Halbfinale gegen Frankreich (1982) und andere große WM-Ereignisse auf zugleich amüsant und informativ aufzubereiten.
Anders ist der Ansatz von Jürgen Kaube, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Unterhaltsam und lehrreich ist aber auch seine vorzugsweise soziologisch grundierte Intervention zu den Festspielen der kommenden Wochen. Zwar erweist auch der mit zwölf hübschen Zeichnungen von Philipp Waechter versehene Band "Lob des Fußballs" (C. H. Beck) unvergesslichen Spielmomenten und deren Protagonisten von Cruyff bis Zidane seine Reverenz. Vor allem aber unternimmt Kaube in eleganter Wissenschaftsprosa den lohnenden Versuch, die Alleinstellungsmerkmale des Fußballs gegenüber anderen Mannschaftssportarten herauszuarbeiten. Dabei entschlüpft ihm die nur auf den ersten Blick drollige Definition, Fußball erfülle eine "materielle und physische Voraussetzungsarmut". Tatsächlich geht Fußball fast immer und überall. Anders als die meisten anderen Ballsportarten bedarf er weder eines festen Untergrunds noch unvermeidlicher Ausrüstung wie Schläger, Netz oder Korb.
Denn selbst angeblich unabdingbare Requisiten wie Bälle und Tore lassen sich – folgt man Kaube – gewissermaßen simulieren, etwa durch Papierkugeln oder durch im Gras abgelegte Klamotten. Es sind dieser Ausstattungspurismus sowie die Möglichkeit, fehlende Objekte durch Kreativität zu ersetzen, die das Fußballspiel zu einer mit Sehnsucht aufgeladenen anthropologischen Konstante und zugleich anfällig für Projektionen und Überhöhungen machen.
Pittoresk ist der Zugang, den der Cartoonist Jean La Fleur wählt. Sein gleichermaßen komisches wie anrührendes "Fußballepos" ist im Bremer Logbuch-Verlag erschienen und heißt lakonisch "Hund". Es erzählt von einem Haustier, das ein Talentscout zum Probetraining lädt, bevor es in der Welt des Sports für Furore sorgt.
Weil der Raum in diesem Kulturteil so eng ist wie sonst nur in einer kompakten Bundesligistenabwehr, erfolgt das Lob weiterer Fußballbücher in Kurzform: Michael Horeni hat im Piper-Verlag eine "Gebrauchsanweisung für die Fußballnationalmannschaft" vorgelegt, Tobias Escher glaubt eine "Zeit der Strategen" (Rowohlt) angebrochen, Christian Eichler resümiert "Die ganze Geschichte des Fußballs in neunzig Spielen" (Droemer), und Christoph Biermann erläutert den "Matchplan. Die neue Fußballmatrix" (Kiepenheuer & Witsch). Die WM kann kommen; zumindest für die intellektuelle Deutungshoheit sind Leser gut gerüstet.