
Der Bremer Sambakarneval scheint um zwei Tage vorverlegt worden zu sein. Eine bunt gewandete Prozession wogt fröhlich und gestenreich über die Bühne des Kleinen Hauses. Dass es unter anderem Klänge aus Jacques Offenbachs Operette „Die schöne Helena“ (1864) sind, die die Feiergemeinde dynamisieren, steigert den Schau- und Lauschwert der Darbietung zusätzlich. Und zeigt den Zuschauern zugleich an, dass diese Übermalung eines Romans mit kulturell wertvollen Zusatzinformationen einhergeht: Die afrikanisch-europäische Compagnie La Fleur hat „Nana“ (1880) adaptiert, neunter Band und Herzstück von Émile Zolas 20-bändigem Erzählzyklus „Die Rougon-Macquart. Natur- und Sozialgeschichte einer Familie unter dem Zweiten Kaiserreich“ (1871-1893).
So ein Stoff ist naturgemäß ergiebig für das genreübergreifende Diskurstheater, das Monika Gintersdorfer (Regie) und Franck Edmond Yao (Choreografie) wenige Tage nach der Paris-Premiere des Stücks nun in Bremen anzetteln. In „Nana ou est-ce que tu connais le bara“ geht es um die Kurtisane Nana und deren Käuflichkeit, um allerlei Schnittstellen von Arbeit, Sexualität und Balztanz sowie um Geilheit, Geld und Geltung (unter ständiger Berücksichtigung etwaiger kolonialistischer Aspekte).
Gut fünf Monate nach der Saisoneröffnung der Bremer Schauspielsparte mit „Nathan der Weise“ ist der enzyklopädisch gestimmte Performancetrupp erneut in Hochform, was die Verschneidung straßenphilosophischer Spitzfindigkeiten mit tanzbaren Trap-Rap-Partikeln anbelangt. Dass das verderbte Paris des 19. Jahrhunderts so nah an die Banlieue der Gegenwart rückt, liegt zum einen an dem Lüneburger Klangkünstler Timor Litzenberger, der einen ebenso beschwingten wie mitreißenden Job macht, zum anderen an den zwölf agilen Akteuren, die in dem knapp zweistündigen Wechselspiel aus Textkommentar und Tanz teils schweißtreibende Arbeit verrichten.
Die Bremer Teilnehmer an diesem smarten Spektakel, Justus Ritter und Matthieu Svetchine, leisten nicht zuletzt als launige Übersetzer ein beachtliches Pensum. Die Schauspielerin Friederike Becht bereichert die Produktion als Gast auch tänzerisch. Wem der Sinn nach kühnen Hüftschwüngen und koketten Kokottensprüchen steht, ist bei Annick Choco, die eindrucksvoll die Titelfigur Nana gibt, und ihren kolossalen Kolleginnen bestens aufgehoben. Herzlicher Applaus quittiert diesen gleichermaßen lehrreichen und unterhaltsamen Abend.
Weitere Aufführungen im Kleinen Haus:
23. Februar, 20 Uhr; 24. Februar, 18.30 Uhr.