
Bremen. Nach dem Tod seiner Gründerin Pina Bausch im Jahr 2009 kam das Ensemble des Tanztheaters Wuppertal nicht zur Ruhe. Zu befrieden schien sich die Lage erst vor 14 Monaten mit der Berufung von Adolphe Binder als Intendantin und künstlerische Leiterin. Von der 49-Jährigen, die von 2011 bis 2016 künstlerische Direktorin der Danskompani Göteborg war, wurde ein veritabler Spagat erwartet. Sie sollte das Erbe Bauschs hegen – und das berühmte Tanztheater zugleich in die Zukunft führen.
Doch jetzt droht der Kulturmanagerin die Entlassung. Am Donnerstag beantragte der Geschäftsführer der Kompanie, Dirk Hesse, Binders fristlose Kündigung. Seine Vorwürfe sind schwerwiegend. Von Mobbing ist die Rede, von einem problematischen Führungsstil Binders – und davon, dass sie für die kommende Saison noch keinen Spielplan vorgelegt habe. Der aus Delegierten der Stadt Wuppertal und des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen bestehende Tanztheaterbeirat lehnte Hesses Forderung zunächst ab. Eine Entscheidung soll in einer weiteren Beiratssitzung noch in dieser Woche fallen.
Am Freitag erschien im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" unter der Zeile "Ein offensichtlich dramatisches Versagen“ ein Text der Tanzkritikerin Wiebke Hüster, die sich Hesses Position nicht nur zu eigen macht, sondern zudem auffällig schäumt. Nicht nur, dass sie Binder ungeprüft "eine offensichtliche Verletzung ihrer Pflichten als Intendantin" und "künstlerische Ahnungslosigkeit" attestiert; überdies kolportiert sie, Binder habe von ihrer Aufgabe in Göteborg lassen müssen, "nachdem dort ihr Führungsstil massiv in die Kritik geraten war".
Noch gepfefferter war der Inhalt eines Interviews, das Hüster dem Sender Deutschlandfunk Kultur gab. Darin sagt sie, das "hauptsächliche Versagen Frau Binders" liege darin, "für die neue Spielzeit keinen einzigen neuen Choreografen vorgeschlagen" zu haben. Überdies formulierte sie denkbar suggestiver, Wuppertal hätte gewarnt sein können, wenn die schwedischen Zeitungen vor Binders Verpflichtung gründlicher gelesen worden wären. Schließlich habe sich ihr Führungsstil in Göteborg als "massiv autoritär und abwertend, undemokratisch" erwiesen.
Nicht erst seit Mai, als sie eine Uraufführung des griechischen Choreografen Dimitris Papaioannouals "als Wuppertaler Gruselshow" mit "bedeutungsleeren Hochstapeleien" bezeichnete, bläst Hüster zum Halali auf die Intendantin, der sie künstlerisches Talent abspricht. Nur merkwürdig, dass ihr Ton bereits hämisch war, als die Berufung Binders im Februar 2016 bekannt wurde. Hüsters Polemik schließt so: "Willkommen, Tanztheater Wuppertal, in der schönen neuen Kulturtourismusstadtmarketingsexportschlagerwelt. Als du mal so wild angefangen hast in den Siebzigern hättest du dir auch nicht träumen lassen, dass du mal von einer Sales-Managerin geleitet würdest. Wow."
Um diese Ausfälle bewerten zu können, sollte man wissen, dass Geschäftsführer Dirk Hesse, dem Binder formal unterstellt ist, gegen ihre Berufung war. Laut Berliner "Tagesspiegel" sollen sich Hesse und Hüster "früher mal sehr nahe gestanden haben". Auch ohne diese Verdächtigung riecht es streng nach einer Kampagne mit planvoll gestreuten Interna und Verleumdungen. Darum ist es längst noch nicht ausgemacht, wer aus der Führungsriege des Tanztheaters in dieser Woche über die, nun ja, Wupper geht.