
An einer bemerkenswerten Transferleistung versucht sich Niall Ferguson, britischer Historiker (und eloquenter Kritiker von Angela Merkels Flüchtlingspolitik). In seiner spannenden Studie "Türme und Plätze" untersucht er "Netzwerke, Hierarchien und den Kampf um die globale Macht".
Seine grundlegende These frappiert und mutet zumindest auf den ersten Blick verführerisch schlüssig an: Soziale Netzwerke wie Facebook gibt es seit alters her, und stets waren sie für Missbrauch und gefälschte Nachrichten anfällig. Schon Aberjahrhunderte vor dem digitalen Paradigmenwechsel erfüllten Plätze ihre Kommunikationsaufgabe als Foren des Austauschs, als dynamische Märkte der rhetorischen Möglichkeiten, auf denen situativ soziale Einschluss- und Ausgrenzungsmechanismen erörtert und vollzogen wurden.
Auch den Begriff Hierarchie diskutiert der 54-jährige Spezialist für Wirtschafts- und Finanzgeschichte zunächst an einem architektonischen Beispiel: dem himmelstürmenden Turm, einer statischen Erscheinungsform der Macht par excellence. Am Beispiel der toskanischen Stadt Siena, die im Mittelalter einen rasanten Bedeutungsschub erfuhr, zeigt Ferguson, wie sich die Macht in Gestalt des imposanten Rathausturmes dem Hauptplatz, der Piazza del Campo, gewissermaßen einschreibt, wann immer sein wuchtiger Schatten die Informationsplattform verdunkelt.
Soll für einst und heute besagen: Wenn Herrscher von einem exponierten Posten aus den Marktplatz beobachten – handle es sich nun um Wach-, Kirchtürme oder den Trump Tower –, ist dessen Potenzial als Nachrichtenbörse sozusagen verschattet, für Manipulationen anfällig, mithin immens gefährdet. Die Schlagkraft weltlicher, klerikaler und ökonomischer Potentaten bemisst sich in allen Fällen an der strategischen Positionierung ihrer Kommunikationszentrale.
Ferguson belässt es nicht bei einzelnen Korrespondenzen zwischen Gegenwart und Vergangenheit, sondern wartet mit etlichen erhellenden Vergleichen auf. Fündig wird der Historiker zumal in der Epoche, die ihm als erstes bedeutsames Netzwerk-Zeitalter gilt: in der frühen Neuzeit. Diese Phase sei durch die Vielzahl revolutionärer Erfindungen (Buchdruck) und Entdeckungen (Neue Welt) ein Schulfall des destabilisierenden Einflusses dynamischer Netzwerke auf statische Machtformen. Wer dieses Buch liest, begreift, warum sich Institutionen so schwer mit sozialen Medien tun.
Niall Ferguson: Türme und Plätze.
A. d. Engl. v. Helmut Reuter. Propyläen, Berlin.
640 Seiten, 32 €.