
Was für ein Buch, welch bühnenreife Sprache! "Heute gedenkt Vater zu sterben / Vater ist ein Dramatiker / Er liebt das Theatralische / Fürs Sterben / Hat sich Vater den Sonntag ausgesucht / Ich bin in Venedig / Sonntag in Venedig / Todessonntag in Venedig / Tod in Venedig."
Carmen-Francesca Banciu, 1955 in Rumänien als Tochter eines kommunistischen Kaders geboren, legt einen autobiografisch grundierten Roman in Versgestalt vor. Eindringlich erzählt sie von Maria-Maria, die nach Rumänien reist, um ihren 87-jährigen Vater zu betreuen, der beim Einkaufen von einem Blechkarren überrollt worden ist. Doch der dogmatische Parteigänger richtet trotz Hilfsbedürftigkeit keine versöhnlichen Worte an die Tochter, sondern überzieht sie mit Vorwürfen. Schließlich hat sie in seiner Perspektive die kommunistische Utopie der Übergangsgesellschaft verraten. Auch Maria-Maria fühlt sich verraten: von einem in rhetorischen Posen erstarrten Hardliner, der sich als moralische Instanz gefällt, obwohl er im real versagenden Sozialismus so vielen Menschen Wunden zugefügt hat.
Der innere Monolog, den die Hauptfigur hält, ist so dicht geschrieben, dass er sich für eine Theateradaption empfiehlt. Bancius Thema, die Verschränkung des Abschieds von einem Elternteil mit dem Abschied von einer gesellschaftlichen Vision, rührt an und birgt auch lange nach dem Kollaps des sogenannten Ostblocks zeitlose Brisanz. Die suggestive Wiederholung von Motiven vollzieht sich nicht von ungefähr mit liturgischer Insistenz. Eindrucksvoll entlarvt Banciu Stilisierungen von Paternalismus und Partei. Unkonventionelle Literatur, großartige Literatur.
Carmen-Francesca Banciu: Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten! Tod eines Patrioten.
PalmArtPress, Berlin. 373 Seiten, 25 €.