
Bremen. Es gibt gute Gründe, diesen Film skeptisch zu betrachten. Darin ermuntert dessen Macher die Zuschauer sogar: Bildern nur bedingt zu trauen. Und doch ist diesem Film, der mit wenig vertrauenswürdigen Bildern aufwartet, unbedingt Tribut zu zollen: für seine handwerklich tadellose Machart, den ernsten, passagenweise erhabenen Grundton, die ausgesprochen ruhige und konservative Erzählweise ohne dramaturgischen Schnickschnack und Avantgardistenpose, für die erlesenen Schauspieler, für die elegischen Bilder – und für einen anrührenden und doch problematischen Wahrheitsbegriff.
Man kann Florian Henckel von Donnersmarcks „Werk ohne Autor“, einem deutschen Requiem in Gestalt einer vorgeblichen Künstlerbiografie, auch vieles nachsagen, was wenig schmeichelhaft ist: Bildungsbürgerliebedienerei, Überkonstruktionsverdacht, Geschichtsklitterung, grenzwertiges Pathos (wenn nicht sogar Kitsch), ein hohes Maß an Plakativität und didaktischer Überambition. Überlänge sowieso (drei Stunden und acht Minuten). Ein deutsches Requiem, dessen bildmächtiger Komponist ergriffen von seiner eigenen Schöpfung zu sein scheint. So sehr, dass der Starttermin am 3. Oktober in Ordnung geht, wenn man das Selbstbildnis des Schöpfers in Rechnung stellt – und die Schwächen seiner Kreation außer Acht lässt.
Einerseits. Andererseits lohnt das historisch-ästhetisch-gynäkologische Monstrum, das der 45-jährige Filmemacher nach dem oscarprämierten Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“ (2005) und dem Venedig-Thriller „The Tourist“ (2010) geschaffen hat, das Hinsehen. Nicht nur wegen seiner Bedeutungshuberei, sondern wegen legitimer Ansinnen.
Zum einen, weil dies der Appell und zugleich das Credo des Filmes ist: nicht wegzuschauen; unter keinen Umständen. Nicht vor den Verwerfungen und den Zivilisationsbrüchen der deutschen Geschichte, nicht vor den dramatischen Bedingungen der Geburt eines Kunstwerks, nicht vor den dramatischen Bedingungen der Entstehung (oder Verhinderung) eines Menschenlebens. Zum anderen qualifiziert allein seine auf mehreren Ebenen anzusiedelnde Debatten- und Schulunterrichtstauglichkeit dieses Werk als sehenswert.
Ohne Abstriche übrigens, um im magistralen Bild zu bleiben. Denn wie dieser Filmemacher und Drehbuchautor (in Personalunion) existenzielle Akte der Schöpfung – von Nationen, von Kunstwerken, von Leben – engführt, mag ein ums andere Mal verstiegen, ja megalomanisch wirken und hat doch eine Art. Dieser Film provoziert Widerreden und Urteile, und das ist sein wohl größter Vorteil.
Sozusagen an Historienmalerei mit integrierter Trompe-l'œil-Gefahr versucht sich der Regisseur in diesem monumentalen Drama. Er bahnt seiner Hauptfigur, einem gewissen Kurt Barnert, eine symbolträchtige Schneise durch zwei deutsche Diktaturen – und lässt erst in der Bundesrepublik Deutschland des Jahres 1966 von ihr, als sie gewissermaßen arriviert ist: als Künstler angekommen, bei sich und seinen Themen; bei einer fotorealistischen Bildsprache, die auf Wahrhaftigkeit zielt. Tom Schilling spielt solide und doch auffällig verhalten diesen Kurt Barnert, der ein Vexierbild des deutschen Malers Gerhard Richter, Jahrgang 1932, vorstellen soll (der sich übrigens so gar nicht in dieser Geschichte wiedererkennen mag).
Die Schlüsselszenen, aus denen der Film seine Leitmetaphern bezieht, spielen sich überwiegend in der Kindheit des werdenden Künstlers ab. Gezeigt wird zuallererst seine enge Beziehung zu seiner sporadisch überkandidelten Tante Elisabeth, die wegen ihrer Schönheit dem Führer Blumen übergeben darf – und wegen ihrer Verhaltensauffälligkeiten wenig später in die Psychiatrie kommt, auf Geheiß von Professor Seeband (Sebastian Koch) zwangssterilisiert wird – und mit anderen Internierten in der Gaskammer endet.
Von Donnersmarck hält sich an die von ihm ausgegebene Maxime: nicht wegzuschauen. Er zeigt nicht nur dieses kollektive Sterben, sondern potenziert den obszönen Blick noch, indem er dem Tod an weiteren Schauplätzen bei der Arbeit zusieht: an der Front, wo Elisabeths Brüder fallen; in Dresden, auf das alliierte Bomben fallen.
Die Geschichtscollage spinnt sich fort über weitere Lebensstationen Barnerts/Richters. In der DDR, wo er erste künstlerische Gehversuche macht, lernt er eine andere Elisabeth (Paula Beer) kennen, die seine Frau wird. Dass sie die Tochter des Mannes ist, der seine Tante ins Gas geschickt hat, weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht; es wird sich ihm enthüllen. Genauso wie später, im Westen, seine konkrete Bestimmung als Künstler, die ihm Joseph Beuys (Oliver Masucci) souffliert. Das alles ist maßlos, hanebüchen – und von bizarrer Faszination. Also: nicht wegschauen.
Am Sonnabend, 6. Oktober, kommen der Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck und der Schauspieler Sebastian Koch gegen Ende der 17-Uhr-Vorstellung zum Filmgespräch in die Schauburg.