Olaf Latzel ist wegen Volksverhetzung verurteilt worden: Drei Monate Haft, umgewandelt in eine Geldstrafe zu 90 Tagessätzen à 90 Euro, lautete am Mittwochmorgen das Urteil des Amtsgerichts Bremen gegen den Pastor der St.-Martini-Gemeinde. Es ist die Mindeststrafe, sie taucht in seinem Führungszeugnis nicht auf. Sein Anwalt bezeichnete den Schuldspruch trotzdem als Katastrophe und kündigte Rechtsmittel an. Notfalls werde man bis zum Bundesverfassungsgericht kämpfen.
Umstrittene Äußerung
„Wo beginnt Hetze, wann werden Worte justiziabel“, wenn es doch gleichzeitig gelte, das hohe Gut der Meinungs- und der Religionsfreiheit zu wahren? Gleich zu Beginn ihrer Urteilsbegründung ordnete Richterin Ellen Best die Schwierigkeit dieses Verfahrens ein. Latzel hatte sich im Oktober 2019 im Rahmen eines Eheseminars seiner Gemeinde in einer Art und Weise über Homosexuelle geäußert, die ihm mehrere Anzeigen wegen Volksverhetzung einbrachten.
Der Pastor führte dagegen ins Feld, dass seine Worte sich nicht gegen Menschen gerichtet hätten. Im Gegenteil, er habe nichts gegen homosexuelle Menschen, sondern lehne – dem Wort Gottes in der Bibel folgend – nur die Homosexualität als Sünde ab. Doch diese Argumentation ließ die Richterin nicht gelten. „Homosexualität ohne Menschen ist nicht denkbar“, betonte Best. Und daran ändere auch der Hinweis auf die Bibel nichts.
Um den Straftatbestand der Volksverhetzung zu erfüllen, müssen Äußerungen über die bloße Ablehnung einer Gruppe hinausgehen, erklärte die Richterin. Sie müssen auf Stimmungsmache abzielen, emotionale Grundlage für Handeln sein und ein geeignetes Maß an Gehässigkeit und Rohheit enthalten. All dies liege in diesem Fall vor. Von „teuflischer Homo-Lobby“ zu sprechen, sei eine Verzerrung, die stark emotionalisiere. Homosexuelle in die Nähe von Verbrechern zu stellen, könne so verstanden werden, dass es erlaubt sei, gegen solche Verbrecher vorzugehen. Latzel habe homosexuelle Menschen als etwas dargestellt, gegen das man sich wehren müsse, er habe es ihnen abgesprochen, gleichwertige Personen in der Gesellschaft zu sein.
Auch auf das Thema Meinungsfreiheit ging die Richterin ein. Natürlich dürfe man sagen, dass die Bibel Homosexualität ablehne. Und natürlich dürfe man Homosexuelle und Gender ablehnen. Dies sei durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gesichert. Aber eben nicht auf Kosten der Persönlichkeitsrechte anderer Menschen. Und nicht, wenn diese Meinungsäußerungen gegen andere Gesetze verstoßen, wie in diesem Fall dem Paragrafen 130 zur Volksverhetzung.
Richterin bleibt bei Mindeststrafe
Mit 90 Tagessätzen blieb die Richterin bei der vorgesehenen Mindeststrafe und unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß von 120 Tagessätzen. Eine bedeutsame Abweichung, denn erst über 90 Tagessätze gilt der Verurteilte als vorbestraft. Der Verteidiger des Pastors bezeichnete den Schuldspruch gleichwohl als Katastrophe. Auf Grundlage dieses Urteils könnten künftig gezielt einzelne Meinungen unter Strafe gestellt werden – „je nachdem, wer gerade die Mehrheit hat in der Regierung, oder je nachdem, wer eine Mehrheit für eine bestimmte Meinung in der Bevölkerung hat“. Die Einzelfälle würden dann so konstruiert und aufbereitet, dass es irgendwie unter den Tatbestand der Volksverhetzung passe. „Das Urteil ist ein Einfallstor zur Beschränkung der Meinungsfreiheit.“
Er werde auf jeden Fall Rechtsmittel einlegen, kündigte der Anwalt an. „Wir machen uns aber große Sorgen, weil auch das Revisionsgericht in Bremen angesiedelt ist, sodass wir möglicherweise tatsächlich bis zum Bundesverfassungsgericht werden kämpfen müssen.“
„Ich bin zutiefst betroffen, dass ein Pastor unserer Kirche wegen Volksverhetzung verurteilt worden ist“, kommentierte der Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK), Pastor Bernd Kuschnerus, in einer ersten Reaktion das Urteil. „Die Äußerungen, die der Verurteilung zugrunde liegen, sind nicht hinnehmbar und schaden dem Ansehen der ganzen Kirche. Der Kirchenausschuss wird jetzt über die nötigen Konsequenzen beraten.“ Man werde sich in einer Sitzung des Kirchenausschusses am 10. Dezember mit dem Ausgang des Verfahrens und der Urteils-Begründung sowie gegebenenfalls eingelegten Rechtsmitteln befassen. Anschließend werde der Ausschuss über die Fortsetzung des momentan ausgesetzten Disziplinarverfahrens gegen Pastor Latzel beraten.