
Er soll der Gefährlichere von beiden sein, gefährlicher als der Bremer Terrorist Harry S., der wegen seiner Mitgliedschaft beim islamistischen Daesch bereits verurteilt wurde und gegen den jetzt wieder Ermittlungen laufen – wegen gemeinschaftlichen Mordes bei der Hinrichtung von Gefangenen. Sein Kumpan in Bremen und später in Syrien war Adnan S., der vor einigen Wochen in der Türkei gefasst wurde und dort im Gefängnis sitzt.
Die deutschen Sicherheitsbehörden hatten geglaubt, Adnan S. sei tot, gefallen im Terrorkampf des Daesch. Dass er überraschend aufgetaucht ist, löst Sorge aus. Am Freitag hat sich die Parlamentarische Kontrollkommision der Bürgerschaft, zuständig für die Überwachung des Verfassungsschutzes, mit dem Fall befasst. Was, wenn Adnan S. freigelassen wird? Ist er eine Gefahr und will einen Anschlag verüben, vielleicht sogar in Deutschland, vielleicht in Bremen?
Solche Fragen waren es, die sich das dreiköpfige Gremium mit den Fraktionsvorsitzenden von SPD, CDU und Grünen in vertraulicher Sitzung gestellt hat. Doch das ist nur die eine Seite in dem Fall. Offen ist auch, ob die Bremer Behörden vor der Ausreise von Adnan S. mehr hätten tun können, um den Mann zu stoppen.
Erstmals hat am Mittwoch die Staatsanwaltschaft ausführlich zu einem Vorfall Stellung genommen, der sich im Februar 2014 zugetragen hat. Damals sind zwei schwule Männer brutal zusammengeschlagen worden. Die Polizei sprach von einem „bedingten Tötungsvorsatz“. Die Tatverdächtigen waren Adnan S. und ein zweiter Mann. Sie wurden in der Nähe des Tatorts von der Polizei gestellt. Es blieb jedoch dabei, ihre Personalien festzustellen. Als sie später zur Vernehmung vorgeladen wurden, erschienen die Männer nicht. Die Polizei klingelte bei ihnen an der Haustür, ohne Erfolg.
Keine Fahndung
„Wir hatten keinen Haftbefehl und konnten die Männer deshalb auch nicht zur Fahndung ausschreiben“, sagt Frank Passade, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Es habe kein dringender Tatverdacht bestanden. Dass die Polizei die beiden Beschuldigten damals nicht zur erkennungsdienstlichen Behandlung auf die Wache mitgenommen habe, sei im Nachhinein sicherlich unglücklich gewesen. Im Ergebnis konnten von den Männern keine DNA-Proben genommen werden, die sie hätten überführen können. Keine Spuren, kein dringender Tatverdacht, kein Haftbefehl.
Stattdessen hat es nach Darstellung von Passade eine Form von Ermittlung gegeben, die es zwar nicht erlaube, gezielt nach einem Verdächtigen zu suchen. Sollte die Person aber in eine Kontrolle geraten, könne man von ihr immerhin DNA-Proben nehmen, falls ein richterlicher Beschluss dafür vorliege. Festnehmen dürfe man sie nicht.
Adnan S. soll ein Jahr nach dem ersten Vorfall zusammen mit Harry S., der auch dafür bereits verurteilt wurde, einen Raubüberfall auf ein Ehepaar in Oyten verübt haben. Dasselbe Muster: Schläge bis zur Bewusstlosigkeit. Zwei Monate später, im April 2015, sind die Männer nach Syrien ausgereist. Adnan S. soll dabei die treibende Kraft gewesen sein. Er hatte alles vorbereitet, die ganze Logistik.
„Wir hatten zunächst keinerlei Hinweise, dass es sich bei dem Beschuldigten um einen radikalen Islamisten handelt“, sagt Passade, „für uns war er ein Schläger." Adnan S. soll sich damals aber schon für den salafistischen Kultur- und Familienverein (KuF) in Gröpelingen engagiert haben, der mittlerweile verboten ist. Er verkehrte im selben Dunstkreis wie Harry S., den die Sicherheitsbehörden längst auf dem Radar hatten. Wie alle KuF-Mitglieder galt Harry S. als Kandidat für die Ausreise nach Syrien, um für den Daesch zu kämpfen. Es gab bei ihm Durchsuchungen, er wurde überwacht. Geschah dasselbe auch mit Adnan S., mindestens die Überwachung? Und falls ja: Wie kann es sein, dass die eine Behörde ihn sucht und die andere möglicherweise weiß, wo er ist?
Die Staatsanwaltschaft hat am 8. April 2015 gegen Adnan S. ein Verfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Straftaten eingeleitet. Der Auslöser waren nicht Erkenntnisse des Verfassungsschutzes, sondern profane Ermittlungen in einem Fall, in dem es nach den Worten von Passade zunächst um eine vermeintliche Entführung ging. „Tatsächlich waren es Betrugsstraftaten, um das Geld zusammenzubekommen, das Adnan S. und Harry S. benötigten, um die Reise nach Syrien finanzieren zu können.“
Seit Februar 2014 lief gegen Adnan S. das Verfahren wegen der brutalen Schläge gegen die beiden Homosexuellen. Zur gleichen Zeit oder später muss der Mann als Salafist aufgefallen sein. Im Februar 2015 war er mutmaßlich am Überfall auf das Ehepaar in Oyten beteiligt. Am 8. April 2015 hat die Staatsanwaltschaft genügend Anhaltspunkte, um Adnan S. zu verdächtigen, schwere staatsgefährdende Straftaten vorzubereiten. Am 17. April reist er zusammen mit Harry S. nach Syrien aus.
Das ist der Hergang. Trotz mehrmaliger Anfragen unserer Zeitung haben sich die Innenbehörde und der Verfassungsschutz dazu noch nicht geäußert. Die Grünen-Fraktion hat am Mittwoch mit Bezug auf die bisherige Berichterstattung im WESER-KURIER Fragen an das Innenressort gerichtet. Sie will wissen, wie es nach dem Überfall vom Februar 2014 zu den Entscheidungen der Polizei kam. Antworten darauf soll es nach Angaben der Behörden sowohl in der Innendeputation als auch im Rechtsausschuss geben. Der Fall Adnan S. hat die Bürgerschaft erreicht.
Der WESER-KURIER verwendet den Begriff "Islamischer Staat" nicht, weil diese Terrorgruppe weder religiös motiviert noch ein Staat ist. Wir sprechen wie ihre Gegner von Daesch.
Ob Bahnhof, Marktplatz, Weserstadion oder Schlachte: Das Bremer Stadtbild hat sich im Laufe der Zeit erheblich verändert. Wir berichten über vergessene Bauten, alte Geschichten und historische Ereignisse.
Welcher Verein wann in Bremen oder der Region spielt und wie die Begegnung ausgegangen ist, erfahren Sie in unserem Tabellenbereich. Auch die Ergebnisse der Spiele der höheren Ligen finden Sie dort.
job4u ist die regionale Plattform, wenn es um Lehren und Lernen geht. Neben dem WESER-KURIER, der Handelskammer und der Handwerkskammer Bremen machen sich hiesige Firmen für junge Leute stark.