
Eine bemerkenswerte Immobilie haben sich Diedrich Gerlach und seine Geschäftspartner vor wenigen Wochen zugelegt. Das Gebäude ist riesig, es hat eine lange Tradition und war stets eine gute Adresse. Sie haben das Kontor- und Geschäftshaus Am Wall 175-177 gekauft, aus dem zum Jahreswechsel das Oldenburger Einrichtungshaus Ullmann ausgezogen war.
Die großen Schaufenster, die an die Geschichte des Gebäudes erinnern, sollen nicht mehr lange leer bleiben, sagt Architekt Gerlach. Auf einer Seite ist ein Küchenstudio eingezogen, auf der anderen Seite des Haupteingangs soll auf 140 Quadratmetern eine Craftbeer-Bar eröffnet werden. Über den Rest der Fläche werde noch verhandelt.
Er kenne das Gebäude schon seit seiner Kindheit, sagt Diedrich Gerlach. „Meine Eltern haben ihre Möbel bei den Vereinigten Werkstätten gekauft, die hier früher ihren Sitz hatten.“ Die Werkstätten residierten von 1937 bis Ende der 1980er-Jahre in dem immensen Gebäude, heißt es in dem Buch „Häuser der Großstadt – Die Architekten Behrens und Neumark in Bremen“.
Gebäude präsentiert sich zurückhaltend
Auf zehn Seiten breitet sich die Geschichte des Bauwerks aus, das 1911/1912 nach den Plänen von Friedrich Neumark (1876 - 1957) und Heinrich Wilhelm Behrens (1873 - 1956) entstanden ist. Der Aufsatz dreht sich, wie es heißt, um ein Mehrzweckgebäude, dessen Architektur für den Wall nicht neu gewesen sei, jedoch seine Dimension. Und weiter: „Die Fassade greift auf traditionelle barocke Stilelemente zurück, die Stahlskelettbauweise wird kaschiert.“
Auftraggeber waren nicht die Werkstätten, sondern die Kaufleute Louis Stallmann und Berthold Harder, deren Warenhaus über seinen Sitz in der Obernstraße hinauswuchs, schreiben die Autorinnen Katrin Gerhard und Carmen Krenz. „Innen wie außen fällt das Gebäude nicht durch eine Fülle an Ornamenten auf, es zeigt sich der Kundschaft zurückhaltend und beeindruckt vor allem durch seine Ausmaße und die großen, abends hell erleuchteten Schaufenster (...).“
Gerlach sagt: „Bei vielen Gebäuden dieser Zeit sieht man, dass sich die Menschen, die sie erbaut haben, sehr viele Gedanken gemacht haben, über das, was sie tun. Eine Fassade in der Größe so stimmig hinzubekommen, erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit den Details. Das ist Neumark und Behrens hier sehr gut gelungen.“
"Archtiketen waren typisch bremisch"
Auch die Innenarchitektur hat ein Jahrhundert überdauert. In einigen Räumen ist die Vertäfelung noch erhalten, ebenso wie Türen oder Handläufe in den Treppenhäusern, in vielen Räumen ziehen sich Stuckarbeiten an den Decken entlang. Auch Gerlach lobt die gestalterische Zurückhaltung. Obgleich man an den vergoldeten Schmiedearbeiten im Treppenhaus erkenne, mit welcher Detailliebe die Verantwortlichen am Werk gewesen seien, „waren die Architekten typisch bremisch: in ihrer Arbeit nicht sehr laut“.
Der Kauf des Objektes resultiere aus einem Zufall, erzählt der Architekt. Ein Freund habe sich für das Gebäude interessiert und es besichtigt, er habe sich angeschlossen. Der Freund habe sich anders entschieden, er selbst habe Investitionspartner gefunden, um eine neue Nutzung für das Gebäude zu entwickeln. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Diedrich beziehungsweise die Höpkens Park C + E GmbH, deren Geschäftsführer er ist, eines historischen Gebäudes annimmt: Vor einigen Jahren wurde die einstige Schule in der Elisabethstraße in Walle, später Sitz des Ortsamts West, in Wohnungen umgewandelt. Dieses Mal hat die Höpkens Park C + E GmbH das Objekt nicht gekauft, sie ist aber für Planung und Umsetzung verantwortlich.
Die Hauptbauarbeiten konzentrieren sich derzeit ebenfalls auf Wohnungen. Sie entstehen in den oberen Stockwerken, wo sich bislang Büros befunden haben. Auf mehr als 3000 Quadratmetern entstehen nach Angaben des Architekten 13 Ein-, elf Zwei- und elf Dreizimmerwohnungen mit eigenen Küchen und Bädern. Mieter der Etagen ist das Sozialressort.
Übergangswohnheim für 200 Flüchtlinge
Nach Angaben seines Sprechers, Bernd Schneider, entsteht ein Übergangswohnheim, in das bis Jahresende 200 Flüchtlinge einziehen sollen. Die Appartements böten „den Standard, den wir anstreben, und der auch ein Wohnen über einen etwas längeren Zeitraum zulässt.“ Auf lange Sicht, sagt der Architekt, sei geplant, die Appartements in „bezahlbareren Wohnraum für junge Leute“ umzuwandeln, ähnlich dem Modell Elisabethstraße.
Bereits als das Gebäude entstand, wurde es zum Wohnen genutzt, schreiben Gerhard und Krenz. Das Textil-Kaufhaus Stallmann & Harder erstreckte sich nicht über die gesamte Fläche und alle vier Etagen. In dem Gebäude kamen überdies Kontorräume unter, die Konsultationsräume eines Arztes und eines Anwalts, Wohnungen und Zimmer für das Personal. Obendrein habe sich dort ein Kristallisationspunkt gesellschaftlichen Austauschs befunden: das „Café Theater-Restaurant“ – das Stadttheater war bis 1944 in den Wallanlagen gegenüber beheimatet.
Für Bremens Bürgertum war die gesamte Straße Anfang des 20. Jahrhunderts ein „beliebter Mittelpunkt und eine täglich gern aufgesuchte Promenade“, heißt es in „Häuser der Großstadt“. Das Kauf- und Kontorhaus war eine vornehme Adresse, vor allem für die Damenwelt. Berichtet wird unter anderem von einem „exklusiven französischen Salon der Abteilung Damenputz (..), in dem sich die Hutateliers befanden (...). In den Ausstellungsschränken lagen die afrikanischen Straußenfedern, indischen Reiher oder langgeknüpften Pleureusen“ (Federschmuck) aus, mit denen die Damen ihre Hüte „nach eigener Angabe garnieren oder modernisieren“ lassen konnten.
Geschäftshaus steht unter Denkmalschutz
Das Geschäftshaus am Wall steht seit 1992 unter Denkmalschutz. In der Begründung heißt es: „Das Gebäude ist insofern auch stadtentwicklungsgeschichtlich bedeutsam, markiert es doch deutlich den rasch fortschreitenden Wandel der Straße ,Am Wall‘ zur Geschäftsstraße.“ Gerlach fühlte sich in Walle nicht in seinen Gestaltungsmöglichkeiten beschränkt, am Wall gehe es ihm nicht anders: „Wenn man wertschätzt, was an historischer Substanz vorhanden ist, findet man mit dem Denkmalschutz immer eine Lösung. Es geht immer darum, zu verhindern, dass ein Gebäude auf eine Weise genutzt wird, die ihm nicht entspricht.“
Was dem Architekten nicht gefällt, ist die Überdachung, die sich seit 1995 den Wall entlangzieht und dessen Pfeiler die architektonische Rhythmik des Gebäudes nicht aufnehmen. Rolf Kirsch vom Landesamt für Denkmalpflege erinnert sich: Obgleich es sich um einen „sehr aufwendigen und schicken“ Entwurf handele, „waren wir damit gar nicht glücklich.“ Aber zum einen habe man sich dem Wunsch der Stadt gebeugt, den Wall zur Einkaufsstraße zu entwickeln.
Zum anderen greife das Dach nicht in die Substanz der historischen Gebäude ein, die sich zudem nicht als durchgehendes Ensemble über den gesamten Wall erstreckten. Gerlach glaubt, dass der Standort Zukunft hat. Die Geschäfte hätten in der Regel ein Profil, das Stammkundschaft anziehe. Die Straße lade wegen ihrer malerischen Lage dennoch zum Flanieren ein. Deshalb wird die neue Baustelle auch von der Rückseite des Gebäudes her erschlossen.
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