
Tabarak schläft. Schon seit fast einem ganzen Tag. Das Mädchen ist neun Monate alt. Die Ärzte haben ihr vor der Geburt keine Lebenschance gegeben. In der 29. Schwangerschaftswoche wurde festgestellt, dass kein Gehirn angelegt ist. Wahrscheinlich würde sie tot zur Welt kommen oder nach der Entbindung sterben. „Als sie lebend geboren wurde, haben uns die Ärzte gefragt, ob alles unternommen werden soll, damit sie atmet. Die haben nicht daran geglaubt, dass Tabarak leben wird“, sagt ihr Vater, Mohammad Harb. Er wird noch heute wütend, wenn er daran denkt.
Tabarak atmet, und sie lebt. Länger, als die Ärzte ihr eine Chance gegeben haben. Wie lange, das wissen Khadije und Mohammad Harb nicht, aber sie wollen ihr alles geben, was sie für dieses Leben braucht. „Für uns war immer klar, dass sie zu uns nach Hause kommt“, sagt der Vater. Dort lebt sie mit den vier Geschwistern, die sich um ihre jüngste Schwester kümmern.
„Wir gehen den Weg mit ihr“
Ein kleiner Teil des Gehirns ist angelegt. Tabarak lächelt, sie kann Hell und Dunkel sehen, sie reagiert auf Berührungen. Zum Beispiel, wenn ihr Bruder ihr die Hände spielerisch massiert. Morgens, wenn sich die acht- bis 13-jährigen Geschwister zur Schule fertig machen und Trubel in der Wohnung herrscht, ist Tabaraks Platz im Flur. Dort bekommt sie alles mit, ist mittendrin. „Wir gehen den Weg mit ihr“, sagt Khadije Harb.
Katharina Heubach und ihr Team unterstützen Tabarak und ihre Familie dabei. Sie ist Leiterin des einzigen Ambulanten Palliativdienstes für Kinder und Jugendliche in Bremen, eine Kooperation der Zentrale für Private Fürsorge und des Klinikums Links der Weser mit der Prof.-Hess-Kinderklinik. Seit Mai 2015 gibt es das Team.
Die Mitarbeiter begleiten Kinder mit einer nicht heilbaren und fortgeschrittenen Erkrankung. „Wir helfen ihnen, die Symptome wie Schmerzen, Luftnot und andere leidvolle Beschwerden zu lindern, dadurch Krankenhausaufenthalte zu vermeiden und ihnen eine höchstmögliche Lebensqualität bis zum Ende des Weges zu geben. Das alles Zuhause“, sagt Katharina Heubach. Die Mädchen und Jungen werden vom Krankenhaus oder von Kinderärzten überwiesen.
Die Pflegekräfte sind immer erreichbar
Fünf speziell qualifizierte Pflegekräfte gehören zu dem Team. Dazu kommen Ärzte und Psychologen. Sie fahren zu den Familien nach Hause, täglich, einmal in der Woche oder auch nur alle paar Wochen. „Das hängt ganz vom Zustand ab. Und es gibt eine Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft.“ Für die Patienten, aber auch für die Familien sind Katharina Heubach und ihre Kolleginnen eine große Unterstützung, vor allem auch psychisch. Denn: Ihr Kind wird sterben.
19 Mädchen und Jungen werden zurzeit von dem ambulanten Palliativteam begleitet. Tabarak ist eine von ihnen. Ein Infekt macht ihr zu schaffen, er macht das Atmen schwerer als es ohnehin ist, vier Tage lang hat sie fast gar nicht geschlafen. Jetzt ist sie so erschöpft, dass sie nur noch schläft.
„In ihrer Erkrankung ist Tabarak im Moment aber ganz gut stabil“, sagt Katharina Heubach. Vor Ort ist Tabarak bei einer Kinderärztin in Behandlung. Katharina Heubach geht mit den Eltern den Plan für die Medikamente durch, passt ihn an, fragt nach, wie das Kind darauf reagiert.
Palliativ bedeutet nicht nur Sterbebegleitung
Khadije Harb hat Tabarak aus ihrem Bettchen geholt, die Kleine schläft im Arm der Mutter weiter. Zwischendurch räkelt sie sich kurz, streckt die Zunge heraus, bewegt Arme und Füße. Am Anfang haben die Eltern den Palliativdienst abgelehnt. „Palliativ hat für uns Sterbebegleitung bedeutet“, sagt der Vater. Später, als Katharina Heubach erklärt hat, dass es darum geht, Tabarak im Leben zu begleiten und sie zu stärken, haben die Harbs zugestimmt. „Natürlich sind wir auch da, wenn der Weg zu Ende geht.“
Zehn Kilometer weiter klingelt Katharina Heubach an der Tür der Familie Mulmadid. Die Eltern sind vor eineinhalb Jahren mit ihren drei Kindern aus Syrien nach Bremen gekommen. Maria wurde hier geboren, mit einer unheilbaren Stoffwechselerkrankung.
Das Mädchen wiegt fünf Kilogramm, normal wären zehn. Essen und schlucken kann Maria nicht, das ist zu anstrengend für ihren Körper, deshalb wird sie über eine Magensonde ernährt. Beide Beine sind gebrochen und eingegipst, die Knochen sind durch die Erkrankung sehr instabil.
Keinen Anspruch auf eine Pflegestufe
Marias Vater spricht sehr gut Deutsch, bei Anträgen für Behörden und Krankenkasse helfen eine Übersetzerin und der Palliativdienst. „Weil die Mulmadids noch nicht lange genug in Deutschland sind, hat Maria keinen Anspruch auf eine Pflegestufe“, sagt Katharina Heubach. „Anträge auf Hilfsmittel sind schwieriger, und sie hat keinen Anspruch auf eine Pflegeberatung.“
Vater Tarak Mulmadid hat Marias Schwester vom Kindergarten abgeholt. Der Palliativdienst hat geholfen, für ein paar Stunden in der Woche einen Platz für sie zu besorgen. Außer der Reihe. „Die Situation hat Auswirkungen auf die ganze Familie, deshalb ist so viel Normalität wie möglich wichtig“, sagt Katharina Heubach.
Tarak Mulmadid summt ein Lied für Maria, das ihr die Schwester aus Youtube vorgespielt hat. Maria wippt wie auf Knopfdruck im Rhythmus und lacht. „Das mag sie sehr gerne“, sagt der Vater. Er und seine Frau freuen sich jedes Mal, wenn Katharina Heubach kommt. „Wir wüssten nicht, was wir ohne sie machen sollten. Wir sind sehr, sehr dankbar.“ Katharina Heubach wird auch da sein, wenn Maria schwächer wird. Wann das sein wird, weiß niemand. Es ist ein Auf und Ab. Im Moment geht es Maria gut. Sie wippt zur Musik.
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