
Viele Menschen in Deutschland erinnern sich noch genau an den Mauerfall vor 30 Jahren. Wir haben unsere Leser und Leserinnen nach ihren Erinnerungen gefragt.
Ich war in Hamburg auf einer Fortbildung und verbrachte den Donnerstagabend im Hotel. Nachrichten waren nur über Radio, Fernsehen oder Presse abrufbar. Jedenfalls hörte ich vor der Tagesschau etwas von einer sensationellen Pressekonferenz des SED-Politbüros läuten. Im Gang traf ich Sabine, eine Westberlinerin, die das auch gehört hatte („ja, ick ooch“) und ziemlich aufgeregt zu sein schien. Wir schauten zusammen die ereignisreiche Tagesschau, nahmen uns spontan in die Arme, während die Freudentränen liefen. Das war der Beginn unserer bremisch-berlinerischen Freundschaft mit vielen gegenseitigen Besuchen und gemeinsamen Urlauben. Und wir schätzen uns bis heute glücklich, diesen 9. November 1989 als ganz persönliche „Vereinigung“, als Kennenlerndatum, im Kalender stehen zu haben.
Britta Büma, Bremen
Am späten Abend des 9. November 1989 klingelte unser Telefon: Unsere gemeinsame Freundin aus Coulaines bei Le Mans (Frankreich) war in der Leitung. Ihre Stimme war ziemlich aufgeregt. Weil mein Französisch nicht so gut war, konnte ich zuerst nur die beiden Wörter „le mur“ und „Börleng“ (Berlin) verstehen. Als sie dann langsamer sprach, konnte ich von ihr etwas über den Fall der Mauer in Berlin erfahren. Mein erster Gedanke war: Toll, fantastisch! Verbunden mit großer Freude. Endlich konnten wir unsere entfernten Verwandten in Neustrelitz besuchen, was wir nach etwa einer Woche auch getan haben.
Ulrich Heyn, Bremen
„Es geht wohl bald los.“ Die Worte der Hebamme klingen mir noch im Ohr, als ich im Haus meiner Eltern in einem Dorf bei Wismar auf dem Sofa liege. Es ist der 9. Oktober 1989, und bis zum Geburtstermin habe ich noch eine Woche Zeit. Ich denke an meinen Mann, der in Berlin unsere Wohnung renoviert. Als wir sie bekommen haben, konnten wir unser Glück kaum fassen: fast 100 Quadratmeter, Prenzlauer Berg. Allerdings auch mit drei Kachelöfen, die nicht richtig funktionieren, und einigen einfach verglasten Fenstern mit gesprungenen Scheiben. Die Wohnung hat immerhin ein Innenklo, aber nur kaltes Wasser, keine Dusche oder Badewanne. Für ein Neugeborenes kein idealer Platz. Unser erstes Kind soll deshalb in Wismar zur Welt kommen.
Es brodelt überall im Land. Selbst in der mecklenburgischen Provinz gab es im September einen regelrechten Massenauflauf, als sich in der Dorfkirche das örtliche Neue Forum gründete. An dem Abend sah auch viele auffällig Unauffällige, die auf sonst leeren Dorfstraßen herumstanden. Ich traue mich kaum raus. Mir macht das alles Angst. Das Land steuert auf einen Bürgerkrieg zu, befürchte ich. Dazu kommt die Angst, die eigene Familie zu verlieren. Mitte September ist der Bruder meines Mannes mit Frau und Sohn über Ungarn in den Westen abgehauen. Die anderen Geschwister meines Mannes sprechen ebenfalls über ernsthafte Fluchtpläne. Meine Schwiegereltern äußern, dass sie hier nichts mehr halten würde, wenn ihre Kinder im Westen sind. Und wer denkt an mich? Ich werde nicht mit dickem Bauch oder einem Neugeborenen über Botschaftszäune klettern.
Am 9. Oktober warte ich im Krankenhaus in Wismar auf einer Liege im Flur vor dem Kreißsaal. Ich bin allein mit mir und meiner Angst vor dem, was mich erwartet. Angehörige sind in den Zeiten der Vierer-Kreißsäle nicht erlaubt. Nach fast zwei Stunden kommt ein Arzt, um mich zu untersuchen. „Das dauert noch. Wenn was ist, melden Sie sich. Um 19 Uhr kann ich allerdings nicht. Da muss ich Nachrichten gucken. Es sind schon wieder so viele Botschaftsflüchtlinge in Prag und Warschau.“ Zur selben Zeit setzt sich in Leipzig nach dem montäglichen Friedensgebet in der Nikolaikirche ein Strom von Menschen langsam in Bewegung. Später wird man lesen, dass es siebzigtausend waren. Siebzigtausend. Trotz des martialischen Anblicks der Hundertschaften von schwerbewaffneter Polizei und Armee, von Wasserwerfern und schweren Fahrzeugen mit Räumschilden gehen Menschen, die aus allen Teilen der Republik angereist sind, langsam und besonnen auf dem Leipziger Ring in Richtung Hauptbahnhof. „Keine Gewalt“ und „Wir sind das Volk“ ertönen die Sprechchöre. Noch ist unklar, ob es einen Einsatzbefehl zur blutigen Niederschlagung der Demonstration geben wird.
Gegen 20 Uhr liege ich in einem Bett im Kreißsaal, steriles Weiß, grelles Neonlicht, angeschlossen an einen Wehenschreiber. Mein Körper kämpft, während ich versuche, allen Anweisungen zu folgen. Der Arzt unterhält sich mit den Hebammen über die Nachrichten. „In Leipzig war heute Abend die bisher größte Demonstration in der Geschichte der DDR. Alles ist friedlich abgelaufen.“ Ich möchte sie am liebsten anschreien: Hallo, ich bin auch noch da, ich kriege gerade ein Kind! Das scheint irgendwie keinen zu interessieren. Die nächste Wehe überrollt mich. „Jetzt noch mal kräftig pressen!“ Dann endlich ist unser Sohn auf der Welt. Ich halte meinen kleinen Robert im Arm und weine vor Glück und weil ich es niemandem in dieser Nacht mitteilen kann. Es hat ja niemand Telefon.
Am 18. Oktober tritt Erich Honecker von allen Ämtern zurück. Überall wird über die Zukunft der DDR diskutiert. Am Donnerstag, dem 9. November, sitze ich um 19 Uhr vor dem Fernseher. Günter Schabowski liest von einem Zettel ab: „... ist die ständige Ausreise über alle Grenzübergänge der DDR möglich.“ Aha, geht mir durch den Kopf. Nun müssen diejenigen, die ausreisen wollen, nicht mehr illegal abhauen. Weiter denke ich nicht. Es hat nichts mit mir zu tun. Ich will ja nicht ausreisen. Ausreise heißt für mich, die DDR für immer zu verlassen.
Am nächsten Morgen stürmt meine Mutter in mein Zimmer: „Ich glaube, dein Mann kommt heute Abend wohl nicht. Er ist bestimmt in Westberlin.“ Irritiert starre ich sie an: „Nein, das macht er nicht. Er lässt mich und unseren Sohn nicht im Stich.“ Meine Mutter lächelt verschwörerisch. „Das musst du dir angucken. Im Fernsehen. Die tanzen in Berlin auf der Mauer.“ Ich springe auf, laufe zum Fernseher und kann gar nicht glauben, was ich sehe. Mein Mann kommt uns an diesem Freitagabend trotzdem besuchen. Am Abend zuvor, in der Nacht der Nächte, hat er unsere Wohnung in der Rykestraße tapeziert. Was sich ganz in der Nähe am Grenzübergang Bornholmer Straße abspielte, hat er nicht mitbekommen. Einen Fernseher hatten wir nicht.
Die Ereignisse in Leipzig am 9. Oktober 1989 haben den Fall der Mauer einen Monat später erst möglich gemacht. Mein Schwager ist übrigens im Dezember 1989 mit seiner Familie wieder zurückgekehrt. Der Grund für ihre Flucht war inzwischen weggefallen.
Astrid Meier, Ritterhude
Es war schon ein historisches Erlebnis. Wir waren am 4. November 1989 auf der Großdemonstration, zu der die „Kulturschaffenden der DDR“ aufgerufen hatten. Der Übergang im „Tränenpalast“ Friedrichstraße gestaltete sich schwierig. Stundenlang dicht gedrängt, kein Vor, kein Zurück, Ohnmachtsanfälle. Und dann dieser lange, schweigende Zug von Tausenden zum Alexanderplatz. Nicht skandierend, wie wir es aus Bremen kannten, sondern nur ein Raunen und das Rauschen von vielen, vielen Schritten. Jedes noch so kleine Plakat, jeder ganz persönlich beschriebene Zettel auf den Stufen des „Palastes der Republik“ wurde aufmerksam gelesen. Und dann die dicht gedrängte Menge der über 10 000 Demonstranten. Jedes Wort der Redner wurde aufgesogen, mit Applaus quittiert oder mit Buh-Rufen, wenn alte Parteigenossen versuchten, sich anzubiedern. In den hintersten Reihen Gruppen um Transistorradios versammelt, denn die Reden wurden live übertragen, soweit waren die Eingeständnisse schon gegangen. Und nun, 30 Jahre später, geben wir am 9. November im Treptower Rathaus mit dem Chor Chorona ein Konzert: „Nebel über der Spree“.
Jochen Volland, Bremen
Ich war mit Mann und Kind auf dem Weg von Bremen nach Altenburschla in Hessen. Am nächsten Tag wollten wir den 61. Geburtstag meines Vaters feiern. Das Autoradio suchte sich selbstständig den Verkehrsfunk, HR3 mit den 19-Uhr-Nachrichten: „Ab sofort können sämtliche Grenzübergänge zwischen der DDR und der Bundesrepublik für Aus- und Besuchsreisen aller DDR-Bürger genutzt werden. Diese Regelung gilt vorerst bis zum Jahresende.“ „Das gibt es doch nicht! Die Grenze ist offen?“ Ich konnte es nicht fassen! Das würde ja bedeuten, dass vielleicht die Familie aus Großburschla zum Geburtstag kommen könnte. Raus aus dem Sperrgebiet, um mit uns im zwei Kilometer entfernten Altenburschla zu feiern. Wahnsinn! Wie fest habe ich als Kind diesen Wunsch in mein tägliches Nachtgebet eingebracht! Es wurde ein unvergessliches Wochenende. Am 13. November fiel der Zaun zwischen Großburschla und Altenburschla. Mein ganzer Zorn und Hass, der sich gegen diese Grenze aufgebaut hatte, brach als Tränen aus mir heraus. Endlich konnte ich meine Oma, meine Tante, meinen Onkel und meine Cousinen in den Arm nehmen, die mir so sehr gefehlt hatten. „Jetzt ist alles gut!“
Hanna Itzigehl, Bremen
Für den 9. November 1989 hatte das DRK in die Wachmannstraße eingeladen, um Hilfe für DDR-Flüchtlinge zu organisieren. Meine Frau und ich sind dorthin gefahren und trafen ein Ehepaar aus Michendorf bei Potsdam, das wenige Tage zuvor über Berlin nach Bremen gekommen war und in einer Unterkunft am Niedersachsendamm lebte. Während wir versuchten, Tisch- und Bettwäsche und Möbel zu organisieren, erreichte uns die Nachricht, dass die Mauer gefallen sei. Zur gleichen Zeit versuchten unsere Freunde aus Alaska, uns telefonisch zu erreichen, um uns zu sagen, wir müssten den Fernseher einschalten, um die Ereignisse in Berlin zu verfolgen. Sie sprachen auf den Anrufbeantworter. Wir haben uns des Ehepaares angenommen, und es ist daraus eine sehr schöne Freundschaft entstanden.
Peter Scheitza, Bremen
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