
Er will nicht klagen, aber Grund dazu hätte Christian Heine schon. „Es sieht schlecht aus, wir sind seit 13 Monaten ohne Einkommen“, sagt der Bremer Schausteller. „Wo sollen wie hin? Volksfest gibt es in dieser Jahreszeit nicht – und gäbe es welche, wären sie verboten.“ Da bietet auch die Osterwiese keine Perspektive. Eigentlich hätte die Volksfestsaison gleichzeitig mit den Schulferien am 26. März beginnen sollen, ist aber, wie berichtet, pandemiebedingt auf voraussichtlich Ende Juni verschoben.
Das ist ein weiterer Schlag ins Kontor der Schausteller, die seit dem Freimarkt 2019 kein reguläres Volksfest mehr beschicken konnten. Der „Freipark“, der nur wenige Tage dauern konnte, und ein paar Buden, die statt des üblichen Weihnachtsmarktes von der Veranstaltungsgesellschaft Bremer Schausteller organisiert worden waren, blieben Tropfen auf den heißen Stein.
Dass die Osterwiese auf den Frühsommer verschoben werden soll, alarmiert Rudolf Robrahn, den Vorsitzenden des Schaustellerverbandes Bremen, umso mehr. Kürzlich erst hatte er mit seinem Dachverband, dem Deutschen Schaustellerbund, den Appell gestartet, Feste und Märkte „nicht überhastet abzusagen“. Mit Sorge sehen Robrahn und seine Kollegen der pandemiebedingten Entwicklung entgegen: Ob sie die lange geplanten Reisen zur Verdener Domweih, zum Stoppelmarkt in Vechta, zum Oldenburger Kramermarkt, zum Hamburger Hafengeburtstag und zu anderen antreten können, ist ohnehin unsicher. „Besser, als wenn alles vorsorglich abgesagt wird“, sagt Robrahn. „Das Oktoberfest in München steht auch schon wieder auf der Kippe.“
Für die kommenden Tage sind Gespräche mit dem Gewerbeamt und mit der Wirtschaftsbehörde angesetzt. Dabei geht es um die Osterwiese, deren Aufbauplan noch abgestimmt werden muss. Rudolf Robrahn findet es gut, „dass die öffentliche Hand zur Osterwiese steht“. Es sei ein wichtiges Signal, „dass sich die Stadt mit ihren Volksfesten identifiziert“. So sei auch das Zulassungsverfahren „das sauberste“. Die Bewerbungsfrist für die Osterwiese endete im Juni 2020. „Eigentlich wäre eine neue Ausschreibung nötig, wenn sich der Termin um mehr als ein, zwei Wochen verschiebt“, gibt Robrahn zu bedenken.
Derzeit laufe das Beteiligungsverfahren mit den Schaustellerverbänden, sagt Kristin Viezens, Sprecherin von Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke). Die 123 am „Freipark“ beteiligten Betriebe hätten 292.000 Euro an Kompensationsleistungen aus Landesmitteln erhalten. Bei einem Termin im Ressort wird es um Fragen zu den Überbrückungshilfen II und, seit Ende vergangener Woche, III aus Bundesmitteln gehen.
Susanne Keuneke, Vorsitzende des Verbandes der Schausteller und Marktkaufleute Bremen (VSMB), versteht sich gemeinsam mit Rudolf Robrahn als „Sprachrohr“ der rund 80 Bremer Schaustellerbetriebe, die zumeist Familienunternehmen sind. „Wir sind eine überschaubare Klientel.“ Sie sieht die Überbrückungshilfe-Modelle skeptisch: „Das Drama wird ungehindert weiter seinen Lauf nehmen. Wir versuchen seit Monaten, ein Landesprogramm zu bekommen. In Niedersachsen gibt es so was für Schausteller“, sagt sie. „Der Umsatz geht gegen null, wir Schausteller bleiben als Saisonbetriebe auf der Strecke. Wir dürfen nicht in einen Topf geworfen werden mit der Gastronomie.“
Was Keuneke bemängelt, ist unter anderem die als unbürokratisch gepriesene Hilferegelung der Fixkostenerstattung: Bisher seien Leasingraten förderfähig, nicht aber Kredite. „Wenn ich mir ein Karussell kaufe, stehen wir mit Haus und Hof dafür ein.“ Auch Sascha Hanstein, Sohn einer Bremer Schaustellerfamilie, hat das Problem. „Wir haben vor drei Jahren ein neues Riesenrad gekauft, das muss auch noch bezahlt werden.“ Mit dem Fahrgeschäft habe er im Sommer drei Monate auf dem Domshof stehen können. „Das hat zwar nicht viel Umsatz gebracht, aber man kommt sich nicht so unnütz vor.“
Die laufenden Kosten stoppt auch das Coronavirus nicht: Hansteins müssen Wellenflug, Commander, zwei Riesenräder, zwei Ausschankbetriebe und das nostalgische Fahrgeschäft für den sogenannten historischen Freimarkt am Laufen halten, auch wenn sie stehen. So geht es allen. Robrahn spricht von Betriebserhaltungskosten. Technische Überwachung und der Ersatz von Teilen fielen regelmäßig an, viele Kollegen hätten Hallen angemietet. „Die ersten Überbrückungshilfen, auch wenn das sehr kompliziert ist, haben den meisten geholfen, bei denen die Betriebskosten trotz allem weiterlaufen. Davon haben sie aber noch kein Brot, keine Butter und keine Wurst. Unheimlich viele von uns, mindestens die Hälfte, sind auf Grundsicherung angewiesen.“
Derzeit muss viel von dem liegenbleiben oder verschoben werden, was Schausteller in der volksfestfreien Winterzeit sonst zu tun haben, etwa ihr Equipment reparieren oder verschönern. Robrahn hat zum Beispiel „einen Weg mit dem Hersteller gefunden“, wie der vor der Corona-Pandemie geschlossene Vertrag für die Renovierung eines Imbissbetriebs „zeitlich gestreckt“ werden konnte.
Auf die Dauer ist Aufschieben keine Lösung: „Alle stehen unter Zwang. Die Attraktivität der Geschäfte wird bundesweit bewertet und spielt bei Bewerbungen eine Rolle“, sagt Rudolf Robrahn. „Viele haben ihre Lebensversicherung aufgelöst, Inventar verkauft. Irgendwann geht es ans Eingemachte. Wir müssen verhindern, dass Betriebe veräußert werden. Irgendwann wird ja Tag X kommen, an dem es weitergeht.“
Abschied von langjährigen Mitarbeitern
Den neuen Personalwagen für 46.000 Euro hatte Rudolf Robrahn schon bestellt. „Wir Schausteller horten ja nicht, wir investieren ständig und müssen uns ja jedes Jahr für neue Bestimmungen wie die Verpackungsverordnung wappnen.“ Die Order konnte Robrahn „gerade noch“ rückgängig machen, zum Glück habe sich ein anderer Käufer gefunden. Der Wagen wäre die Wohnstatt für zwei Beschäftigte gewesen, unterwegs auf Festen. „Mit viel Platz, das ist wichtig. Alle Schausteller achten darauf, dass es den Mitarbeitern gut geht, denen soll es schließlich an nichts fehlen“, sagt der Chef. „Ich stelle mit Schrecken fest, wie vieles in unserer Branche gerade wie ein Kartenhaus zusammenbricht.“
Sascha Hanstein muss die Frage nach dem Personal mit „leider unglücklich“ beantworten. „Wir haben seit Jahrzehnten Mitarbeiter aus Polen, viele schon lange, aber wir konnten sie den größten Teil des letzten Jahres nicht beschäftigten, die haben schließlich auch Familien.“ Hanstein versteht, dass die Leute sich etwas anderes suchen mussten. „Von den 16 kommt mindestens die Hälfte nicht wieder“, befürchtet er. „Für uns als Familienunternehmen ist das ein Riesenproblem, das auf uns zukommt.“
Ob Bahnhof, Marktplatz, Weserstadion oder Schlachte: Das Bremer Stadtbild hat sich im Laufe der Zeit erheblich verändert. Wir berichten über vergessene Bauten, alte Geschichten und historische Ereignisse.
Welcher Verein wann in Bremen oder der Region spielt und wie die Begegnung ausgegangen ist, erfahren Sie in unserem Tabellenbereich. Auch die Ergebnisse der Spiele der höheren Ligen finden Sie dort.
job4u ist die regionale Plattform, wenn es um Lehren und Lernen geht. Neben dem WESER-KURIER, der Handelskammer und der Handwerkskammer Bremen machen sich hiesige Firmen für junge Leute stark.