
Was im Februar vor zehn Jahren als innovatives Lernprojekt an der Hochschule Bremerhaven gestartet ist, hat sich heute als Bremer Institution mit dreifachem gesellschaftlichen Mehrwert etabliert: die „Zeitschrift der Straße“. Sie vereint ein Lernprojekt für Studierende, ein Sozialprojekt für Bedürftige und ein Medienprojekt für die Öffentlichkeit.
Die erste Ausgabe der „Zeitschrift der Straße“ ist am 2. Februar 2011 erschienen. Die Idee hatte der Bremerhavener Wirtschaftsprofessor Michael Vogel schon zwei Jahre vorher. Sein Ansatz: Er wollte den Studierenden „ein herausforderndes Umfeld für Erfahrungslernen“ bieten und deren Potenzial mit gesellschaftlichem Nutzen verbinden.
Mit dem Verein für Innere Mission Bremen, insbesondere der Unterstützung des damaligen Leiters der Wohnungslosenhilfe Bertold Reetz, und der Hochschule für Künste als Kooperationspartner legte er den Grundstein für das Bremer Sozialunternehmen. Und das wurde seit seiner Gründung ein dutzend mal ausgezeichnet, unter anderem 2017 mit dem Deutschen Bürgerpreis.
Der Mehrwert für Studierende liegt in der praktischen Arbeit, noch dazu für einen guten Zweck. Von Anfang an bis heute übernehmen Studierende und Ehrenamtliche redaktionelle Aufgaben: Sie recherchieren, texten, fotografieren und layouten. Auch Konzeptionelles und Marketing liegt in ihren Händen. Zwei professionelle Redakteure unterstützen sie dabei.
Fast 600 Studierende waren bisher an der Erstellung der 83 Ausgaben der „Zeitschrift der Straße“, die monatlich erscheint, und der jetzigen Geburtstagsausgabe beteiligt. Deren inhaltliches Konzept spiegelt sich im Titel „Das Beste aus 10 Jahren“. Darüber hinaus hat sie ein besonderes Erscheinungsbild.
Ansonsten wird stets ein Ort in Bremen aus neuen und teilweise überraschenden Blickwinkeln in den Fokus genommen; ein Straßenzug, ebenso ein Platz, Fluss oder besonderes Gebäude. Gleiches gilt für die Menschen, die sich dort aufhalten. „Die ‚Zeitschrift der Straße‘ sollte nicht problemfokussiert oder klischeebehaftet, sondern für jeden interessant sein“, stellt Katharina Kähler von der Inneren Mission als Herausgeber den Leitgedanken von Michael Vogel und Bertold Reetz heraus.
Die Themen kommen von den Studierenden, Ehrenamtlichen, Verkäufern, Kunden oder sind Online-Vorschläge. Das Redaktionsteam wählt Themen aus und achtet darauf, dass unterschiedliche Orte berücksichtigt werden, sodass es laut Kähler immer wieder neue interessante „Eckchen“ oder Persönlichkeiten zu entdecken gibt. „Die Themen sind unabhängig vom Zeitgeschehen, so ist die ‚Zeitschrift der Straße‘ für manche Bremer inzwischen ein Sammelobjekt“, erzählt die Bereichsleiterin für Wohnungslosenhilfe der Inneren Mission.
Beim Vertrieb kommt der soziale Mehrwert ins Spiel. Wie schon bei der ersten Ausgabe verkaufen weiterhin Obdachlose, Suchtkranke und Menschen mit wenig Geld das Straßenmagazin, von dem auch im Tagestreff Café Papagei für Obdachlose und andere arme Menschen einige Exemplare ausliegen, an von ihnen selbst gewählten Standorten.
Die Hälfte des Verkaufspreises von 2,80 Euro können sie für sich behalten. Und für 1,40 Euro pro Exemplar bekommen sie im Büro Auf der Brake Nachschub für den Verkauf. „Für manche der Verkäuferinnen und Verkäufer ist der Straßenverkauf die einzige Einkommensquelle und für die meisten ein wichtiger Anker im Leben, der Tagesstruktur, Zugehörigkeit und Anerkennung bedeutet“, stellt dazu der Bremerhavener Hochschulprofessor Michael Vogel fest.
Etwa 80 bis 85 registrierte Verkäuferinnen und Verkäufer zählt Katharina Kähler derzeit. Jeder müsse sich an gewisse Regeln halten, könne jedoch selbstbestimmt arbeiten. „Es gibt Stammverkäufer, die über Jahre hinweg der ‚Zeitschrift der Straße‘ die Treue halten“, sagt sie. Andere kämen, wenn ihre finanziellen Ressourcen knapper würden.
Das Büro als Schnittstelle zwischen Redaktion und Vertrieb hat die Innere Mission mit einer halben festen Stelle besetzt. Den reibungslosen Ablauf des Vertriebs stellen Ehrenamtliche sicher. Durch die regelmäßigen Bürobesuche der Menschen, welche die Hefte verkaufen, bestehe regelmäßiger Kontakt zu den Bedürftigen, hebt Katharina Kähler hervor. „Dieser menschliche Faktor ist unglaublich wichtig.“ Er schaffe Begegnungen auf Augenhöhe, und auf diese Weise erfahre die Innere Mission von Sorgen und Nöten.
Weil der Verein für Innere Mission in Bremen das Konzept von Anfang an überzeugt hat, unterstützt er die „Zeitschrift der Straße“, die in einer Auflage von 8000 Exemplaren gedruckt wird, bis heute mit Personal und Räumen. Als Vorstandsvorsitzender stellt Pastor Hans-Christoph Ketelhut zum zehnten Geburtstag fest: „Die ‚Zeitschrift der Straße‘ ist ein Leuchtturmprojekt für Bremen, auf das die Menschen dieser Stadt stolz sein können. Die Zeitschrift bringt Menschen zueinander, die sonst wohl eher wenig miteinander zu tun hätten.“
Und der Bremerhavener Initiator Michael Vogel wünscht sich, „dass dieses Modell – benachteiligte Menschen und Studierende betreiben gemeinsam ein Unternehmen zum beiderseitigen Nutzen – noch mehr Aufmerksamkeit und Verbreitung findet.“
Rufschädigende Falschverkäufer
Seit geraumer Zeit treiben an zentralen Orten der Stadt offenbar falsche Straßenzeitungsverkäufer ihr Unwesen, sie schädigen das Ansehen der offiziell bei der Inneren Mission registrierten Verkäuferinnen und Verkäufer der Zeitschrift der Straße, die auf die Verkaufseinnahmen angewiesen sind, und den Ruf des renommierten Bremer Sozialunternehmens. Das berichtet eine offizielle Verkäuferin insbesondere für die Bereiche Sielwall, Domsheide und den Ökomarkt am Ulrichsplatz. Dort würden Rumänen redlichen Verkaufenden gleichzeitig begehrte Absatzbereiche streitig machen und das Vertrauen der für die gute Sache Spendenden nachhaltig schädigen, ärgert sie sich. Die Männer geben sich demnach als Verkäufer der Straßenzeitung aus, zeigen den Ausweis nur mit verdeckter Registratur vor, belästigen und bedrängen dabei massiv Passanten und verlangen bis zu zehn Euro pro Exemplar.
Ein „bandenmäßiges kriminelles Auftreten“ von nicht registrierten Verkäufern kann Katharina Kähler, Bereichsleiterin für Wohnungslosenhilfe bei der Inneren Mission „nicht bestätigen“, ebenso wenig einer bestimmten Volksgruppe zugehörige Beschwerden. Jeder Hinweis, jede Beschwerde werde sorgfältig von einem Kollegen geprüft, versichert sie. Oft steckten zwischenmenschliche Konflikte dahinter, auch mal Konkurrenz. Sollte sich ein Fehlverhalten bestätigen, weil sich ein Verkäufer nicht an die Regeln hält, wird diese Person nach ihrer Auskunft direkt angesprochen und gegebenenfalls ein einmonatiges Verkaufsverbot verhängt.
Weitere Informationen über das Sozialunternehmen stehen im Internet unter https://zeitschrift-der-strasse.de. Die Zeitschrift der Straße finanziert sich ausschließlich aus dem Straßenverkauf sowie über Spenden. Wer das Projekt unterstützen möchte, kann seine Spende direkt dem Verein für Innere Mission in Bremen zukommen lassen: Sparkasse Bremen, IBAN: 22 2905 0101 0001 0777 00, BIC: SBREDE22XXX, Verwendungszweck: Zeitschrift der Straße. Seit März 2020 zahlt das Team der Zeitschrift der Straße den Straßenverkäuferinnen und –verkäufern, die durch Armut, Winter und Pandemie dreifach belastet sind, wöchentlich einen Ausgleich für ihre coronabedingten Verkaufseinbußen. Dafür werden über die Online-Plattform Betterplace Spenden gesammelt.
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