
Steif steht der Ritter da, auch auf Worte reagiert er nicht. Tritt aber ein Gast einen Schritt auf ihn zu, führt er seine linke Hand zu seinem Kopf. Er öffnet das Visier und entblößt das Gesicht eines Mannes. Die Nase ist groß, die Augen sind weit aufgerissen und die Stirn liegt in Falten. Nicht die geringste Regung ist zu erkennen, nicht einmal ein Blinzeln.
Geht der Gast weiter, schnellt die rechte Hand in die Höhe. Beim nächsten Schritt nickt der Ritter, das Visier klappt zu und seine Arme senken sich – alles auf Anfang. Was klingt wie die wortlose und nur auf Blicke ausgerichtete Prüfung durch einen Diskotheken-Türsteher, war zwischen Ende des 17. und Anfang des 19. Jahrhunderts das Begrüßungsritual im Schütting am Bremer Marktplatz.
Jeder Gast, der den damaligen Sitz der Kaufmannsgilde betrat, wurde auf diese Weise willkommen geheißen. Bei dem Türsteher handelte es sich um den sogenannten Complimentarius, der von einem Tischler so auf einem Brett angebracht worden war, dass er die Bewegungen auf die Schrittfolge des Gastes hin vollführte.
Heutzutage steht er im Foyer des Focke-Museums und empfängt hier die Besucher – wenn auch regungslos. Zudem wurde er in zwei Teile zerlegt: Während die Holzfigur nur mit einer Hose bekleidet in einem Glaskasten ausharrt, lehnt die Rüstung ein paar Meter weiter mit dem rechten Arm auf einem Bildschirm.
Der metallene Oberkörper ist leicht vornübergebeugt, die Beine sind übereinandergeschlagen und auf dem Bildschirm läuft ein Video, auf dem der frühere Begrüßungsvorgang zu sehen ist. Die Holzfigur wiederum ist von dunklen Flecken und Schrammen übersät. Zwar wurde die nicht erhaltene rechte Hand durch eine neue ersetzt, ansonsten ist sie im Originalzustand.
Rüstung und Holzfigur flankieren ein Dutzend Büsten bedeutender Bremer Persönlichkeiten, zu denen auch Museumsgründer Johann Focke gehört. Er war es, der den Complimentarius im Jahr 1901 für die Sammlung des Museums entgegennahm. Sein Nachfolger Ernst Grohne nannte das Exponat „das kostbarste Stück“, das die Waffensammlung des Museums beherbergt.
Der Name Complimentarius stammt aus dem Lateinischen und wird in Anlehnung an das Wort „Kompliment“ häufig mit „Bücklingsmacher“ übersetzt. Ein Complimentarius ist daher jemand, der viele Komplimente verteilt, obwohl er es eigentlich nicht nötig hat – also in etwa das, was heute als „Schleimer“ bezeichnet wird.
Als der Complimentarius im Schütting seinen Sitz hatte – damals noch mit Federschmuck –, war er so etwas wie ein Wahrzeichen Bremens. „Er war eine beachtete Sehenswürdigkeit und gehörte nach Auskunft von Reisehandbüchern zum Besichtigungsprogramm von Bremen-Besuchern“, erzählt Jan Werquet, Kurator im Focke-Museum. Viele Gäste des Schütting zeigten sich von dem Zusammenspiel von Mensch und Technik beeindruckt.
„Die Vorstellung vom Menschen als perfekt konstruierte Maschine fand damals zunehmend Verbreitung“, sagt Werquet. Ursprünglich gehörte die Rüstung zur Wachmannschaft der Gilde, die über ein Arsenal von 51 Harnischen verfügte. Gegen Schusswaffen leisteten diese aber kaum Schutz. Die Kaufleute ersetzten die alten Rüstungen daher durch neue – alle, bis auf eine.
In diese steckten sie die Holzfigur und stellten sie zusammen im Schütting aus. Nachdem er von dort entfernt worden war, geriet der Complimentarius in Vergessenheit. Über einen Bremer Kaufmann ging er in den Besitz eines Kunstsammlers aus Paris über. „Beide waren Waffen-, nicht jedoch Bremensiensammler“, schrieb Hans Hermann Meyer.
Der ehemalige Stadthistoriker des Focke-Museums hat sich in einem Aufsatz für das Bremische Jahrbuch von 1998 mit der Geschichte des ehemaligen Wahrzeichens auseinandergesetzt. „Großes Aufsehen erregte der Complimentarius erst dann wieder, als er zum Museumsstück geworden war“, hieß es weiter in dem Text.
Mit der Überführung ins Focke-Museum kam die Vermutung auf, bei der Rüstung des Complimentarius handele es sich nicht um die eines namenlosen Ritters – sondern um die des ostfriesischen Häuptlings Balthasar von Esens. Dieser hatte sich um 1540 in Bremen zum Feind gemacht, indem er immer wieder Schiffe überfallen hatte, die Bremer Kaufleuten gehörten. Schließlich stellten diese eine Armee auf, die nach Esens in Ostfriesland zog und Balthasars Sitz belagerte.
Bevor er ihnen in die Hände fiel, erlag der Häuptling jedoch einer Krankheit. Der Legende nach haben die Sieger seine Rüstung mitgenommen, um sie im Schütting auszustellen und so ihren Widersacher auch nach dessen Ableben noch zu demütigen. Aus der Legende wurde in den 1950er-Jahren vermeintliche Gewissheit; einige wissenschaftliche und journalistische Texte wiesen die Geschichte um Balthasar und dem Complimentarius als Tatsache aus.
Das führte dazu, dass ihn das Focke-Museum im Jahr 1977 nach Esens verlieh. Dort wurde er während der 450-Jahrfeier der Stadt ausgestellt. Erst später mehrten sich Stimmen, die Zweifel an der Verbindung hatten. Meyer etwa vermutete, dass Fockes Nachfolger die falsche Herkunft bewusst als wahr verkauft haben, um den Wert des Exponats zu steigern: „Bei einem so ausgefallenen Stück ist eine solche Geschichte doppelt willkommen."
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