
Herr Hermann, ein Thema, mit dem Sie sich als Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung in den vergangenen zehn Jahren immer wieder befasst haben, ist der Ärztemangel. Wie akut ist der Mangel in Bremen – und worauf müssen sich Patienten künftig einstellen?
Jörg Hermann:Bremen geht es nicht besser als anderen Städten. Fest steht: Die Zahl an Ärzten wird unweigerlich abnehmen.
Warum?
Weil es einfach weniger Ärzte gibt, auch wenn die tatsächliche Versorgung in Städten immer besser sein wird als auf dem platten Land. Es geht aber auch um die gefühlte Versorgung, die von dem früheren Zustand abhängt. Deswegen wird auch der Bremer Versicherte leiden, weil ein Arzt nicht ersetzt werden kann. Das wird sich bei Haus- und Kinderärzten zeigen, aber auch in einigen Spezialgebieten wie etwa bei Rheumatologen. Früher haben wir Ärzte aus den Kliniken für die Versorgung im niedergelassenen Bereich gewinnen können. Seit einiger Zeit wendet sich das Blatt: Jetzt holen die Kliniken die niedergelassenen Mediziner, weil es das Problem dort auch gibt.
Wie ist der Altersdurchschnitt der Ärzte in Bremen?
Der Durchschnitt liegt um die 60 Jahre. In den nächsten Jahren werden massenweise Ärzte in den Ruhestand gehen. Zwar gibt es noch viele, die über das Rentenalter hinaus praktizieren und damit zu einem wesentlichen Teil an der Versorgung mitwirken. Irgendwann werden aber auch sie aufhören, und das wird Lücken hinterlassen.
Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind dafür zuständig, die ambulante Versorgung mit Ärzten sicherzustellen. Was unternimmt die KV Bremen?
Wir haben Pläne entwickelt. Aber: Wir konkurrieren immer mit dem Rest der Republik. Und zum Teil sind andere deutlich finanzkräftiger mit ihren Angeboten an Ärzte, weil dort die Politik mit eingreift. In vielen Landkreisen gibt es etwa zum Arztsitz den Bauplatz dazu oder die Immobilie für die Praxis ist schon fertig eingerichtet. Da können wir nicht mithalten.
Unterstützt die Politik in Bremen auch mit solchen Modellen?
Nein, Förderungen gibt es nur von der KV. Wir fördern mit Einstiegshilfen in Höhe von 50.000 bis 60.000 Euro, wenn man sich in Bremen neu niederlässt oder eine Praxis übernimmt und erneuert – also renoviert oder eine neue EDV kauft. Und man erhält eine Umsatzgarantie, also ein gesichertes Einkommen.
Wie macht sich der Ärztemangel in Bremen bemerkbar?
Es gibt Stadtbereiche, wo ein Arztsitz aufgegeben und kein Nachfolger gefunden wird – wie es in Bremen-Nord bei Kinderarztpraxen der Fall war. Natürlich gibt es aber in der Stadt Kinderärzte, statt 700 Meter muss man unter Umständen dann 2000 Meter weit fahren. Auf dem Land kennen Patienten weitere Wege, in der Stadt ist das eine besondere Wahrnehmung, weil es vorher anders war.
Debatten gab es vor allem deshalb, weil in sozialbenachteiligten Stadtteilen Haus- oder Kinderärzte fehlten.
Die Erreichbarkeit ist in Bremen sensationell gut. Deshalb halte ich das für eine Pseudo-Diskussion.
Aber es gibt schon seit Längerem eine ungleiche Verteilung zwischen den reicheren und ärmeren Stadtteilen. Bremen gilt als ein einziger Planungsbezirk, was die Verteilung der Arztsitze betrifft. Das ließe sich doch bestimmt ändern.
Nicht durch uns, man könnte staatlich eingreifen. Aber: Je mehr Zwang auf eine Gruppe ausgeübt wird, die die Wahl hat, kann dies auch dazu führen, dass sie woanders hingeht. Das will man sicher auch nicht.
Was ist mit dem Mediziner-Nachwuchs? Es werden ja auch Ärzte ausgebildet.
1989 gab es in Deutschland noch 16.000 Medizin-Studienplätze, heute sind es 11.000. Die Bevölkerung ist aber nicht kleiner geworden, im Gegenteil.
Die KV hat ein Medizinstudium in Bremen gefordert.
Wir sind das einzige Bundesland ohne medizinische Fakultät. Und das ist ein starker Wettbewerbsnachteil, den wir noch stärker als bisher zu spüren bekommen werden.
Warum?
Alle Bundesländer bevorzugen bei der Zuteilung der Studienplätze Landeskinder. Sie bekommen einen Bonus, wenn sie etwa in Frankfurt Medizin studieren und sich verpflichten, mehrere Jahren in Hessen als Ärzte aufs Land zu gehen. Wenn alle Länder das machen, heißt das: Bremer Abiturienten, die Medizin studieren wollen, gucken in die Röhre, weil die Studienplätze an Landeskinder vergeben werden. Und diese sind wiederum für Bremen vom Markt – für viele Jahre. Ein Medizinstudium dauert mindestens sechs Jahre, in dieser Zeit verwurzelt man sich, gründet eine Familie, baut sich ein Leben auf. Das bezeichnet man als Klebeeffekt, von dem Bremen nicht profitiert.
Mit Corona sind die Arztpraxen seit März in einer besonders angespannten Lage: Hatten oder haben Sie akut die Sorge, dass die Pandemie die ärztliche Versorgung spürbar einschränken könnte?
Die Pandemie schränkt sie jetzt schon ein, aber die Ärzte kompensieren dies, soweit es geht. Von den 1000 Praxen sind immer etwa 30 ganz vom Netz oder teilbeschädigt durch Corona. Und das kann noch mehr werden.
Entschärfen die nun auch bei uns beginnenden Corona-Impfungen die Lage?
Hoffentlich. Es ist höchst absonderlich, dass die Ärzte in den Praxen nicht überall als erste Impfkohorte genannt werden – nach den Corona-Abstrichzentren, den Intensivstationen und Notdiensten. Sie haben am meisten Kontakte mit Erkrankten und sind für die Versorgung am notwendigsten. Wir sind dankbar, dass die Gesundheitssenatorin das für Bremen jetzt noch einmal deutlich gemacht hat, nachdem die niedergelassenen Ärzte in der Priorisierung für Bremen gar nicht vorkamen. Das haben wir auf drängendes Nachfragen von der Senatorin schriftlich bekommen. Die Gefahr wäre ansonsten: Fallen die Praxen als Anlaufstelle für Infekt- und Corona-Patienten aus, dann verlagert sich das in die Krankenhäuser – und die sind bereits im roten Bereich.
Halten Sie eine Corona-Impfpflicht für erforderlich?
Eine gesetzliche Impfpflicht gegen Corona wird nicht kommen, zumindest nicht in den ersten drei Jahren, weil man die Impfung nach so kurzer Zeit nicht bewerten kann. Was aber ganz sicher recht schnell kommen wird: Wer nicht geimpft ist, wird ab einem bestimmten Zeitpunkt kleine und immer größere Nachteile haben – nicht durch staatliche, sondern durch private Eingriffe. Das wird sich im Alltag bemerkbar machen: Man bekommt beim Italiener um die Ecke keine Tischreservierung, weil man nicht geimpft ist. Einen Flug kann man nur mit Impfnachweis buchen oder in ein Land einreisen. Diese implizite Impfpflicht wird es geben – und sie wird wahrscheinlich in einem gewissen Maß dafür sorgen, dass sich Menschen impfen lassen.
Das Gespräch führte Sabine Doll.
Jörg Hermann geht Ende 2020 nach zehn Jahren als Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen (KVHB) in den Ruhestand. Zuvor war Hermann in eigener Praxis als Hautarzt tätig.
Kassenärztliche Vereinigungen (KV)
sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, denen alle Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten angehören müssen. Sie sind für die vertragsärztliche Versorgung der Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherungen zuständig. Die KVen stellen sicher, dass die ambulante medizinische Versorgung funktioniert. Insgesamt gibt es in Deutschland 17 Kassenärztliche Vereinigungen, sie sind Mitglieder der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.
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