
Gröpelingen hat am Sonntag geleuchtet. Es war ein warmes Leuchten, ein friedvolles. Die Botschaft: Seht her, es geht doch, dass Menschen aus allen möglichen Kulturkreisen miteinander leben. Das internationale Erzählfestival „Feuerspuren“ machte das sichtbar.
Die Welt traf sich auf ein paar Hundert Metern Lindenhofstraße. Kinder, Mütter, Studentinnen, Paare und befreundete Frauen suchten von allen Seiten dieses Ziel. Tausende zog das Festival an. Es roch nach Gegrilltem, Kebap und Currywurst. Orange- und pinkfarbene Säulen hießen die Besucher willkommen und zeigten die Wege zu den Erzählorten auf. Rund 20 verschiedene gab es zu entdecken. Am Anfang der Lindenhofstraße war es die Nummer 10, der Stall von Bauer Gäbel. Es folgte die Nummer 16, der Friseursalon Spacecut. Auf einer Wiese an der rechten Straßenseite die Erzähljurte. Davor stand Harald Kaiser mit seinem beleuchteten Zylinder unter einem Regenschirm und plauderte wortwörtlich aus dem Nähkästchen. Ein paar Kinder hörten ihm erstaunt zu. Der gebürtige Gröpelinger erklärte, wie Redewendungen wie "keinen Deut besser" oder "für einen Appel und ein Ei" entstanden sind. "Ich versuche die Leute in das Gröpelingen vor 500 Jahren zurück zu versetzen", sagte er. "Sie sollen sich vorstellen, wie es hier aussah. Da ist er, der erste Perspektivwechsel, den die Organisatoren zum Motto des Festivals gemacht haben. Und dabei gab es Spannendes zu erfahren: "Gröpelingen war eine Stadt vor der Stadt und dieser sehr weit voraus", sagte Kaiser, der mit seinen Geschichten vielfach Unbewusstes bewusst machte.
Straßenerzählkunst ohne Eintritt
„Dieses Festival“, hakte Geschichtenerzähler Hans Heitmann ein, „wertet unseren Stadtteil auf. Sowas wie die Feuerspuren gibt es nur in Gröpelingen“. Heitmann ist von Beginn an dabei. Er hebt das internationale Renommee des Festivals hervor, die Tausenden Besucher. „Die Feuerspuren repräsentieren die verschiedenen Nationalitäten, die es hier im Stadtteil gibt.“ Fast 70 verschiedene Sprachen sprechen die rund 35.000 Gröpelinger nach Angaben des Vereins „Kultur vor Ort“. Mehr als 40 waren im Archiv der Sprachen der Generali-Versicherungen zu hören. „Das ist eine Bereicherung“, glaubt Heitmann, „und eine Vielfalt, die die Leute wahrnehmen können“. Geschichten aus verschiedenen Kulturen, wie es sie bei den Feuerspuren zu hören gebe, erweiterten den Horizont, erklärte der pensionierte Grundschullehrer, der neun Jahre unter anderem in Afrika gelebt hat. Und manchmal stelle man dabei fest, dass orientalische Märchen das gleiche Muster besitzen wie die Märchen der Gebrüder Grimm.
Wenige Minuten später erzählte Heitmann von den Schuhen, die nie den Boden berührten. Die Jurte war bis auf den letzten Platz besetzt – wie auch die vielen anderen Erzählorte. Aus dem gelben amerikanischen Schulbus mit den beschwitzten Scheiben drang Gelächter. Im Waschcenter saßen sie dicht an dicht auf Bierzeltbänken, während die Waschmaschinen rumpelten und blinkten und piepten. Luise Gündel ließ sich davon nicht stören und erzählte ihre Fantasie-Geschichte „Schnell, langsam, groß und klein“. Mal war es die Schildkröte, die so gern die glitzernden Schuhe des Affen hätte, deren Traurigkeit Gündel mit geschürzten Lippen unterstrich; mal war es der von Lärm gestörte Löwe, dessen Grummeln sie mit zusammengezogenen Augenbrauen begleitete. Das Publikum folgte der lustigen Geschichte sehr aufmerksam.
Draußen auf der Lindenhofstraße begegneten die Kulturen einander kulinarisch. Vom Steak über Kebap, Köfte, Crêpe und andere leckere Spezialitäten bis hin zur Currywurst war dies auch ein Festival auch für den Gaumen. Besucherin Elfi Janßen fiel auf: „Hier sind so viele Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, und sie lächeln alle.“ Das sehe man nicht alle Tage so. Wichtig ist der Bremerin auch, dass es Straßenerzählkunst gab, bei der niemand Eintritt bezahlen musste. „Die Geschichten sind einfach toll“, schwärmte Janßen. „Die Begeisterung ist beim Publikum durchweg zu spüren.“
In diesem Moment öffnete sich die Tür des vollen amerikanischen Schulbusses. „Schön war es“, fand Sabine Cabanus. „Wir haben drei Kurzgeschichten gehört, das Publikum wurde mit einbezogen.“ Einen Schulbus zum Erzählort zu machen, diese Idee findet sie witzig. „Sehr angenehm dort drin. Schade nur, dass nicht so viele hineinpassen.“
Lieber stempeln als Schlager hören
In den Pausen machten Feuerkünstler dem Festivalnamen alle Ehre. Rhythmen gaben den Takt vor, in dem sie Fackelketten schwangen. Die Theatergruppe „Oslebshauser Kratzbürsten“ mit Marion Küker gaben am Sonntag mal die goldenen Engel und sangen den Schlagersong „Capri-Fischer“ von Rudi Schuricke.
Was sie hörten, war der vierjährigen Jantje und dem dreijährigen Raik egal. Wichtig war ihnen, was sie zu Papier brachten. Die beiden stempelten am Stand von „Kultur vor Ort“ mit Äpfeln, Pilzen, Fenchel und Kartoffeln Gruselgesichter und Sterne aufs Blatt. „Wir haben im Waschsalon was gehört“, sagte Jantje. Das fand sie gut.
Von Kinderhänden geformte Tiere und Früchte warben für die Geschichten der jüngsten Erzähler: darunter ein Igel, eine Erdbeere, eine Zikade und ein lila-pinkfarbener Löwe. „In meiner Geschichte geht es um einen Löwen, der anders ist als die anderen und deshalb immer geärgert wird“, sagte die neunjährige Beyda. Zum Basteln und Geschichtenerfinden angeleitet hatte die Kinder Leyla Seidel vom Kinderatelier des Vereins „Kultur vor Ort“.
Geschichten über Gröpelingen sammeln - in einem DDR-Wohnwagen
Anstatt den einen oder anderen Euro beim verkaufsoffenen Sonntag einzunehmen, stellte Fahrradhändler Oliver Stubbmann seinen Laden als Erzählort zur Verfügung. „Ich möchte das Festival fördern“, begründete er. „Gröpelingen hat nicht den besten Ruf. Die Leute entwickeln beim Festival eine neue Sicht auf den Stadtteil“, glaubt er und wirbt: „Gröpelingen ist nicht so schlecht, wie oft behauptet wird.“ Im Fahrradladen berichteten Marion Zimmermann und Rumeysa Yilmaz über zwei Männer, die ihre eigene Religion und Sicht der Dinge haben. „Sie sind wie Wind und Feuer“, fasste Yilmaz zusammen.
Umgekehrt sammelten die Grafikdesigner Sebastian Knickmann und Katja Philipsenburg in einem alten DDR-Wohnwagen Geschichten über die Kindheit in den 1980er- und 1990er-Jahren in Gröpelingen. „Wir wollen zeigen, dass es trotz des Niedergangs der AG Weser schöne Zeiten gab“, so Knickmann.
Die Organisatoren des Vereins Kultur vor Ort und des Bürgerhauses Oslebshausen haben viel erreicht, wenn Saziye Sener vom Stand vor der Mevlana-Moschee sagt: „Es ist jedes Jahr wieder schön. Die Nachbarn kommen alle zusammen, wir unterhalten uns und sind alle fröhlich.“ Gefeiert wurde das am Abend mit einem Feuerwerk an der Weser.
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