
Der Freispruch im Mordprozess um die seit 25 Jahre vermisste Jutta Fuchs war erwartet worden. Dennoch überraschte der Vorsitzende Richter am Dienstag bei der Urteilsverkündung mit einem Eingeständnis. Als 2013 die Mordanklage erhoben wurde, habe er durchaus geglaubt, dass der Angeklagte für das Verschwinden seiner Verlobten verantwortlich war, räumte Helmut Kellermann freimütig ein. Sei sich zugleich aber sicher gewesen, es ihm nicht nachweisen zu können und habe deshalb die Eröffnung des Verfahrens abgelehnt. Nun habe das Gericht den Mann freigesprochen, weil es für die Schuld des heute 58-Jährigen tatsächlich keine ausreichenden Beweise gab. Dennoch, so Kellermann, habe er nach dem Verlauf der Verhandlung größere Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten und frage sich, ob es nicht doch sein könne, dass ein unbekannter Dritter Jutta Fuchs umgebracht habe. "So fernliegend ist diese These nicht mehr."
Dass die Frau aus Farge 1993 Opfer eines Gewaltverbrechens wurde, steht für das Gericht fest. Eine geplante Flucht, um ein neues Leben zu beginnen, passe nicht zu dem, was praktisch alle Zeugen über die damals 29-Jährigen aussagten. Ein spontaner Entschluss sei vielleicht denkbar. Nicht aber, dass sie sich anschließend 25 Jahre lang nicht bei ihrer Familie, ihren Freunden und vor allem ihrem Sohn gemeldet hätte.
Ebenfalls auszuschließen seien nicht zuletzt wegen der fehlenden Leiche, ein Unfall oder ein Suizid. Bliebe also ein Gewaltverbrechen und damit die Frage nach dem Täter. Zu deren Beantwortung hätten die Ermittlungen der Polizei beitragen sollen, doch die seien nicht immer effizient und ausreichend dokumentiert gewesen und häufig nicht früh genug durchgeführt worden, erklärte der Vorsitzende Richter. Gleich mehrfach seinen förmlichen Vernehmungen von Zeugen direkt nach dem Verschwinden von Jutta Fuchs versäumt worden. "Diese Vernehmungen haben uns in der Verhandlung gefehlt." Und dieser Beweismittelverlust sei auch nicht durch Zeugenbefragungen wettzumachen gewesen, die die Polizei über ein Jahrzehnt später durchgeführt habe. Nach so langer Zeit könne sich niemand mehr an Details erinnern. "Kein Vorwurf an die Zeugen. Aber wir müssen uns auf sie verlassen können – das ist das Problem."
Dass man es trotzdem versucht hat – auf Anweisung des Oberlandesgerichts nach Beschwerde der Staatsanwaltschaft – hält Kellermann im Nachhinein für richtig. Hierzu passe insbesondere auch die Durchsuchung des Tietjensees. Darauf hätten die Angehörigen von Jutta Fuchs ein Recht. "Wir haben es nicht geschafft, herauszufinden, was mit ihr passiert ist. Das tut uns leid. Aber wir haben es wenigstens versucht."
Weder die Motive noch die Indizien und Aussagen, die gegen den Angeklagten vorgebracht wurden, hielten vor Gericht stand. Zumindest entwickelten sie nicht so viel Kraft, um die Strafkammer von seiner Schuld zu überzeugen, erläuterte der Vorsitzende Richter. Und auch die Widersprüche, in die er sich nach Auffassung von Polizei und Staatsanwaltschaft verwickelt haben soll, seien bei weitem nicht so dramatisch wie behauptet.
Er hätte zwar die Gelegenheit für den Mord gehabt. Und der Beweis, dass er es nicht war, sei in der Verhandlung nicht erbracht worden, betonte Kellermann. "Aber wir haben eben auch die Möglichkeit, dass es andere Personen waren." Vor dieser Sachlage sei der Angeklagte freizusprechen.
Damit ist die Akte dieses Mordprozesses endgültig geschlossen. Nach dem Freispruch kann der 58-Jährige praktisch nicht wieder wegen Mordes an Jutta Fuchs angeklagt werden. Auch dann nicht, wenn morgen ihre Leiche und belastende Indizien gegen ihn auftauchen würden. Nur ein Geständnis des Mannes würde zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens führen.
Laut Staatsanwaltschaft führte eine Indizienkette zur Mordanklage gegen den Verlobten der vermissten Jutta Fuchs. Die stärksten Glieder dieser Kette lauteten in etwa so: Dass die junge Frau, wie von ihrem Verlobten behauptet, am Abend des 25. Juni 1993 zum Tanzen in den Vegesacker Treff ging, hat kein Zeuge bestätigt. Niemand hat sie in der Diskothek gesehen. Zeitgleich mit Jutta Fuchs verschwand der Revolver des Vaters des Angeklagten, der seinen Sohn 1993 zudem gegenüber der Polizei belastete. Die Fußmatte vor der Wohnung des Angeklagten soll in der Nacht, als Jutta Fuchs verschwand, gekärchert worden sein und es gab einen verdächtigen roten Fleck auf dem Wohnzimmerteppich.
Außerdem fischte ein Jahr nach dem Verschwinden von Jutta Fuchs ein Jugendlicher eine mit Steinen beschwerte Tüte aus dem Tietjensee, in der sich angeblich Gegenstände aus dem Besitz der Verschwundenen befanden – unter anderem ein alter Ausweis und ein weißer Aufkleber mit dem Schriftzug „Wir verloben uns“ plus die Namen von Jutta Fuchs und des Angeklagten. Schließlich das scheinbar stärkste Glied der Beweiskette: Zweimal, 1994 und 2014, schlugen Leichenspürhunde am Kofferraum eines Firmenwagens des Angeklagten an.
Scheinbar harte Fakten, die gegen den Angeklagten sprachen. Doch in der Hauptverhandlung zerbrach die Indizienkette. Die Zeugen: Vor Gericht waren sich zwei Bedienungen des Vegesacker Treffs nun doch sicher, Jutta Fuchs an jenem Abend gesehen zu haben. Nicht in der Diskothek, aber im Schankraum des Lokals. Womit die Kernthese der Staatsanwaltschaft – die 29-Jährige hat an diesem Abend ihr Haus nicht mehr verlassen – vom Tisch war. Und somit nicht mehr ausgeschlossen werden konnte, dass ein unbekannter Dritter, den sie erst an diesem Abend getroffen hatte, sie umgebracht hat.
Der Revolver: soll nicht erst im Juni 1993 verschwunden sein, sondern dem Vater schon zwei Jahre vorher bei einem Einbruch gestohlen worden sein. Was er der Polizei aber verschwieg, weil er die Waffe nicht ordnungsgemäß gelagert hatte. Die belastenden Aussagen des Vaters: vor Gericht nicht mehr verwertbar, weil er dort von seinem Aussageverweigerungrecht Gebrauch machte. Und vor 25 Jahren hatte die Polizei seine Angaben nicht in einem ordnungsgemäßen Protokoll festgehalten, versehen mit der Unterschrift des Zeugen, sondern lediglich in einem Vermerk. Der aber gilt vor Gericht nur als Hörensagen. Schall und Rauch, nichts, worauf eine Verurteilung sich stützen kann.
Die Fußmatte: von der Polizei nicht sichergestellt. Der rote Fleck: kein Blut, sondern Ketchup. Der Inhalt der Plastiktüte aus dem See: von der Polizei auf dem Revier Blumenthal nicht als wichtig erachtet und schon vor Jahren weggeworfen. Und die Leichenspürhunde? Als sie anschlugen, gehörte der Wagen dem Angeklagten längst nicht mehr. Er hatte ihn an eine Altenpflegerin verkauft, die beruflich immer wieder mit Leichen in Berührung kam. Und ihre Dienstkleidung anschließend im Kofferraum des Wagens transportierte. Was sich aber erst 2015 herausstellte, als man die Frau erstmals dazu befragte.
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