
„Kaffee, Tee, Wasser?“ Alles da, kein Problem, und Rosinenstuten gibt es auch noch, den hat er selbst gemacht, seine Spezialität. Werner Voss lebt zwar im Altenheim, legt aber Wert darauf, selbstständig zu bleiben. „Ich bin autark“ sagt er, und weil sein Gast ihn um Kaffee gebeten hat, fischt er jetzt erst einmal die Bohnen aus den Tüten, zwei Sorten, ein Mokka aus Äthiopien und einen Espresso. Voss, 91 Jahre alt, setzt sich auf den Stuhl und nimmt seine alten Kaffeemühle zwischen die Beine. Er mahlt die Mischung, brüht sie auf und serviert.
Der Kaffee ist ein Genuss, und Voss, das merkt man, ist ein Genießer. Auf dem Balkontisch liegt schon die Zigarre für den Abend, ein Ritual, zu dem auch ein Gläschen Schnaps gehört. Der edle Tropfen stammt aus dem Saarland, Direktimport, „wollen Sie einen?“.
Seit neun Jahren bewohnt Voss ein Appartement der Stiftungsresidenz Ichon-Park in Oberneuland. Damals ist er aus seinem schmucken Einfamilienhaus in Buchholz ins Heim nach Bremen gezogen. Ein Schritt, der ihm schwerfiel, der nach seinen eigenen Plänen aber überfällig war. Voss wollte ihn viel früher machen, mit 70, hatten seine Frau und er sich vorgenommen. „Die meisten gehen ja zu spät.“ Doch wie es so ist, die gewohnte Umgebung, die Freunde, die Hobbys, und einigermaßen fit waren sie auch. Dann starb die Frau, und es dauerte noch einmal einige Jahre, bis Voss sein Haus ausräumte, den Umzugswagen bestellte und das vollzog, was er bei der Bremer Heimstiftung lange vorher angebahnt hatte. Bremen deshalb, weil der gebürtige Bassumer die Stadt kennt, dort seine Lehre absolviert hat und als Kaffeekaufmann Karriere machte. Zuletzt war er Geschäftsführer und hatte 170 Mitarbeiter.
„Disziplin“, sagt Voss, „das ist mein Wort, so lebe ich.“ Kurz nach sechs steht er auf, bringt seine Übungen hinter sich, Gymnastik, und stellt sich danach unter die Dusche. Dann der erste Gang nach draußen, zum Vogelhäuschen und zu den Pflanzen, die er im Garten regelmäßig gießt. Spätestens um neun gibt es Frühstück, das er für sich und eine Bekannte aus dem Heim zubereitet. Später kümmert er sich um die Briefe der Bewohner und der Heimleitung, er bringt sie die Straße hinunter zur Post. Mal zu Fuß, mit dem Wanderstock in der Hand. Immer öfter aber auch mit dem Scooter, einem Elektromobil. „Zuerst hatte ich einen mit 5 km/h in der Spitze, der war mir zu langsam. Jetzt fahre ich doppelt so schnell.“ Voss erledigt Einkäufe für seine Nachbarn im Haus und organisiert jeden Sonnabend eine Bar, Getränke im Grünen Salon, damit die Heimbewohner am Abend auch mal unter Leuten sind. So hat er immer zu tun, wenn er will, die Tage vergehen wie im Fluge.
Voss ist organisiert, er hat sein Programm, bringt Ordnung in die Dinge. Jeden Freitag ist Medizincheck, den macht er selbst, Blutdruck, Gewicht, auch Blutgerinnung, weil sein Herz einen Schrittmacher hat. Das Ergebnis wird dokumentiert und ausgedruckt, damit die Ärzte im Fall der Fälle gleich etwas zur Hand haben. Fürs Krankenhaus steht eine gepackte Tasche bereit. Nichts, was nicht bedacht wird.
Zwischendurch gönnt er sich aber auch Ruhe, zwei, drei Stunden Schlaf am Nachmittag und die langen Abende auf dem Balkon, wenn er seinen Gedanken nachhängt und es fast Mitternacht wird, bevor er ins Bett geht. Fernsehen gucken mag er nicht, Bücher lesen auch nicht mehr, „nach zwei Seiten bin ich eingeschlafen“.
Mittags kocht er für sich oder besucht das Restaurant im Heim. An diesem Tag gibt es im Speisesaal Tafelspitz, seine Wahl, „gekochtes Rindfleisch ist bekömmlicher“. Den Tag drauf steht unter anderem Nudelgratin auf dem Speiseplan. Voss und Nudeln, das geht zusammen, da ist er dabei. Wenn sein Sohn, der an der Ostsee lebt, einmal im Monat zu Besuch kommt, gehen sie schon mal um die Ecke zum Sizilianer: „Da haben sie eine gegrillte Dorade, wunderbar!“ Beim ersten Mal hatte der Kellner noch gefragt, ob er den Fisch filetiert bekommen möchte. Die Antwort war ein klares Nein. „Filet bekomme ich im Heim.“
Voss ist Schlaraffe, „sorgloser Genießer“, wie der Begriff übersetzt wird. Die Schlaraffen sind ein Männerbund, der über die ganze Welt verteilt ist und sich der Pflege von Freundschaft, Kunst und Humor verschrieben hat. Voss ist seit 53 Jahren Mitglied und nimmt bis heute an den Zusammenkünften teil. Er wird abgeholt und wieder zurückgebracht, unter Freunden eine Selbstverständlichkeit.
Von Tod und Sterben hält er sich fern: „Zu Beerdigungen gehe ich nicht.“ Dass auch seine Zeit irgendwann zu Ende geht, sieht er nüchtern. „Wenn es morgen vorbei ist, habe ich nichts dagegen.“ Gar nicht lange her, dass jemand im Heim gestorben ist, den er gut gekannt hat. „Am Morgen habe ich ihm noch Stuten gebracht.“ Zum Mittagessen kam der Mann nicht mehr, obwohl er sich angemeldet hatte. Sofort schauen dann die Mitarbeiter nach. Der Bewohner saß tot im Sessel, mit der Zeitung in der Hand. „So wünscht sich das wohl jeder“, sagt Voss.
Weihnachten kommt seine Enkelin aus Stockholm. Sie ist Juristin, hat in diesem Jahr ihre Doktorarbeit geschrieben. „Für Opa“, lautet die Widmung. „Da bin ich natürlich stolz.“ Es geht weiter, immer weiter, auch im Altenheim. Jüngere rücken nach, darunter jemand, der bei Voss früher als Auszubildender im Betrieb war. Vergangenes Jahr hat er im Garten eine Rotbuche gepflanzt, sie ist ihm bereits über den Kopf gewachsen, so schnell geht das. Voss fühlt sich wohl, alles passt, alles in Ordnung: „Meine Koffer habe ich verschenkt“, sagt er, „hier gehe ich nicht mehr weg.“
Neun Jahre bereits, dass der WESER-KURIER einen Mann begleitet, der von zu Hause ausgezogen ist, um im Altenheim zu leben. Werner Voss, ein ehemaliger Kaffeekaufmann, hatte sich damals schnell akklimatisiert. Er ist in der Seniorenresidenz Ichon-Park zu einer festen Größe geworden. Der Reporter hat ihn jetzt ein viertes Mal besucht und war auch dabei, als er damals in Buchholz in der Nordheide seinen Haushalt auflöste. Jedes Mal, wenn die beiden sich treffen, gehen sie mit den gleichen Worten auseinander. „Auf bald, in drei Jahren oder so“, sagt der Reporter. „Weiß nicht“, antwortet Voss, „mal sehen, ob ich das schaffe“. In die sechs Seniorenresidenzen der Bremer Heimstiftung ziehen die Menschen im Durchschnitt mit 83 Jahren ein und bleiben sechs Jahre.
Ob Bahnhof, Marktplatz, Weserstadion oder Schlachte: Das Bremer Stadtbild hat sich im Laufe der Zeit erheblich verändert. Wir berichten über vergessene Bauten, alte Geschichten und historische Ereignisse.
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