
Der Tätowierer
Meistens streikt das Internet ja immer dann, wenn man gerade besonders auf eine stabile Verbindung angewiesen ist. Auch am Mittwoch ist das so, jedenfalls bei Roman Prehn. In seiner Achimer Wohnung gibt das Netz den Geist auf, Probleme mit dem Glasfaserkabel, kein Internet, kein Fernsehen, ausgerechnet am Tag, an dem über die nähere berufliche Zukunft von Prehns Familie entschieden wird.
So kommt es, dass Prehn und seine Freundin irgendwann am Mittwochabend, als die Bund-Länder-Gespräche beendet sind, nichts ahnend auf die blinkenden Bildschirme ihrer Telefone schauen. Was sie da lesen, sind Kurznachrichten, die unterschiedlicher kaum sein könnten.
Prehns Freundin hat einen eigenen Friseursalon, die Nachrichten, die über ihren Bildschirm rauschen, sind Glückwünsche von Freunden, endlich geht es wieder los, und Terminwünsche von Kunden, passt es vielleicht gleich in der ersten Märzwoche? Roman Prehn, Inhaber eines Tattoostudios in Bremen, bekommt keine Terminanfragen, Verwandte schicken ihm tröstende Nachrichten, ach, Mensch, schon wieder nicht, tut uns leid, solche Sätze.
Viel mehr erfährt Roman Prehn am Mittwochabend nicht über die Beschlüsse. Das Internet streikt. Und vielleicht, sagt Prehn am Tag darauf, ist es in diesem Fall auch gar nicht mal so schlecht gewesen. „Sonst hätte ich mich nur noch viel mehr aufgeregt über diese bodenlose Frechheit.“ Natürlich, sagt Prehn, freut er sich für seine Freundin, dass sie ihren Friseursalon ab März wieder öffnen kann. Er versteht bloß nicht, wieso er das nicht auch darf. Sein Tattoostudio ist seit Ende Oktober geschlossen, und vermutlich wird es das noch eine Weile bleiben. „Da wird mit zweierlei Maß gemessen“, sagt er, „und das finde ich nicht fair.“
Wenn man nicht gerade wie er normalerweise davon lebt, sind neue Tattoos in einer Pandemie vielleicht nicht überlebenswichtig, sagt Prehn, aber gilt das dann nicht auch für neue Haarschnitte?
In seinem Tattoostudio empfange er normalerweise immer nur einen Gast. In Friseursalons sei doch viel mehr los. Auch das Argument mit dem Schwarzmarkt verstehe er nicht. Natürlich sind trotz des Verbotes weiter Haare geschnitten worden, sagt er, da muss man ja nur auf die Köpfe der Bundesligaspieler schauen. Prehn wundert sich bloß, ob die Leute echt glauben, es würden gerade keine Tattoos gestochen.
Passiert natürlich ständig, sagt Prehn, anders als bei den Haaren sieht das Ergebnis nur keiner, weil ja Winter ist und alle lange Kleidung tragen. Während also Hobbytätowierer ohne Hygienekonzept von der Krise seiner Branche profitieren, sagt Prehn, sitzt er mit fertigem Hygienekonzept zu Hause und beantragt Arbeitslosengeld.
Prehn hat Hilfsgelder im November und Dezember bekommen. Der Mietvertrag läuft auch jetzt weiter. Er macht nun Schulden bei Freunden, um die Miete zahlen zu können. „Hoffnung“, sagt der Tätowierer, „Hoffnung ist etwas, das ich schon seit einer Weile nicht mehr habe.“
Die Masseurin
Es ist noch nicht lange bekannt, dass der Lockdown bis in den März hinein verlängert wird, da leuchtet Hille Trumanns Telefon im Minutentakt auf. Zehn Kunden melden sich sofort, sie wollen einen Termin für die Zeit nach dem 7. März reservieren, man weiß ja nie, vielleicht sind Termine dann ja wieder möglich. Trumann sagt allen unter Vorbehalt zu, auch wenn sie glaubt, allen bald wieder absagen zu müssen.
Hille Trumann ist Masseurin, sie betreibt ein kleines Studio in Vegesack. Eigentlich. Seit Ende Oktober darf sie keine Kunden empfangen, keine Hot-Stone-Massage, nicht die hawaiianische Variante, gar nichts. So bleibt es bis März und vielleicht auch noch länger. Bisher hat Trumann das irgendwie nachvollziehen können. Jetzt nicht mehr.
„Der Gesundheitsschutz ist wichtig, das verstehe ich, aber es wundert mich, wenn dann Ausnahmen für Friseure gemacht werden“, sagt Trumann, „es ist spannend zu sehen, welche Berufe gerade als wichtig angesehen werden und welche nicht.“ Beim Haarschnitt geht es doch vor allem ums Aussehen, sagt Trumann, vielleicht noch um Hygiene. „Meine Kunden kommen oft mit körperlichen Schmerzen zu mir.“ Viele haben sie trotz des Verbots um eine Massage gebeten, sagt Trumann. Hat sie abgelehnt. „Kommt gar nicht infrage“, sagt sie, „egal, wie schlecht die Lage bei mir ist.“
Gerade ist die Lage ziemlich schlecht. Vielleicht, sagt Trumann, muss sie aus ihrer Wohnung ausziehen. Sie hat Arbeitslosengeld beantragt. Ihre Wohnung ist aber zu groß, die Miete zu hoch, das Amt zahlt nur einen Teil. Die Hilfsgelder des Senats gehen vor allem für die Miete ihres Studios drauf. Wie lange sie sich ihre Wohnung leisten kann, weiß Trumann nicht.
„Ich lebe gerade am Existenzminimum.“ Mit den Existenzsorgen, sagt sie, sind die Panikattacken gekommen, die Schlaflosigkeit. Trumann versucht, die Situation zu meistern, sie meditiert jetzt, besucht Seminare zum Stressmanagement. Was es schwer macht, ist die Unsicherheit. „Ich wache auf und weiß nicht, was in einem Monat ist.“ Trumann ahnt, dass es noch eine Weile so bleiben könnte.
Die Kosmetikerin
Auf einer Demo ist sie noch nie gewesen. Ungewöhnliche Zeiten erfordern aber ungewöhnliche Maßnahmen, findet Kosmetikerin Susanne Blair, und in ihrem Fall bedeutet das nun eben: der erste Protest.
Blair ist die Obermeisterin der Kosmetiker-Innung in Bremen, und ihre erste Demo organisiert sie gleich mal selbst. Gegen 11.30 Uhr will Blair an diesem Freitag auf dem Bremer Marktplatz mit ihren Kollegen auf die schwierige Lage der Branche aufmerksam machen, denn Kosmetiker dürfen ihre Studios weiterhin nicht öffnen.
Blair hat Plakate vorbereitet, sie will Trauerkerzen vor dem Roland aufstellen, und sie wird auf ihrer ersten Demo die erste Protestrede halten. „Und ich werde erst aufhören, wenn ich heiser bin“, sagt sie, „so wütend bin ich.“
Wenn man Susanne Blair fragt, was sie besonders aufregt, dann spricht sie nicht zuerst von den Friseuren, die nun anders als ihre Branche wieder öffnen dürfen. Sie findet das zwar ungerecht, sehr sogar, aber es ist nicht das, was sie am meisten stört. „Ich habe das Gefühl, Kosmetiker werden in der Debatte überhaupt nicht ernst genommen“, sagt Blair, „es geht um Anerkennung.“
Es fängt ja schon mit dem Bild an, das die Leute von ihrer Branche haben. Viele, sagt Blair, denken, Kosmetiker sind zuständig für Schönheitskram, Schminken, solche Sachen. Das Klischee ist in den Köpfen, meint Blair, und so wirklich will es da nicht weg. Stimmt dabei alles längst nicht mehr, sagt die Kosmetikerin: „Wir laufen nicht mit dem Pinsel durch den Laden.“
Stattdessen gehe es bei den Behandlungen um die Gesundheit der Kunden. Viele kämen mit Hautproblemen, Akne etwa, man arbeite mit Apothekern und Hautärzten zusammen, sagt Blair: „Aber das scheint der Politik offenbar genauso egal zu sein wie unsere hohen Hygienestandards.“
Es ist erst wenige Wochen her, erzählt Blair, da hat sie sich mit dem Bremer Bürgermeister unterhalten. Eine Zoom-Konferenz, Andreas Bovenschulte ist zugeschaltet. Handwerksvertreter wollen die Lage ihrer Branche schildern, der Obermeister der Friseur-Innung sagt etwas, auch Blair berichtet.
Der Bürgermeister hat Zeit mitgebracht, erinnert sich Blair, eine Stunde hört er sich die Sorgen der Friseure und Kosmetiker an, beschwört die Solidarität in der Krise. Klingt gut, hat Blair da noch gedacht. Seit Mittwochabend sieht sie das ein bisschen anders. „Wenn Solidarität bedeutet, dass nur die Friseure öffnen dürfen und wir nicht wirklich ernst genommen werden“, sagt Blair, „dann ist meine Corona-Solidarität langsam am Ende."
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